Als vor einigen Jahren bekannt wurde, dass sich Regietalent Tim Burton ("Die Insel der besonderen Kinder") der Geschichte von „Alice im Wunderland“ annehmen würde, mit Johnny Depp ("Yoga Hosers") in der Rolle des verrückten Hutmachers, waren die Reaktionen äußerst positiv. Diese Paarung des Regisseurs mit Lewis Carrolls‘ Geschichte um eine eigenartige, regellose und vollkommen eskapistische Welt machte einfach Sinn. Umso enttäuschter waren sowohl Alice- als auch Burtonfans als „Alice im Wunderland“ 2010 in die Kinos kam: zu sehr verschrie sich Burton einer unangenehm stringenten und narrativ äußerst holprigen Geschichte um Prophezeiungen und totalitäre Regime, die den Spaß aus Carolls Universum mit aller Kraft herauszog. Das Verlangen nach einem Sequel versank somit relativ schnell im Boden. Sechs Jahre später bekommen wir mit „Alice im Wunderland: Hinter den Spiegeln“ dennoch eine Fortsetzung der Geschichte. Und anstatt die Fehler des ersten Teils auszumerzen und sich auf die Stärken des Wunderlands zu konzentrieren, setzt Teil 2 bei genau den angesprochenden Schwächen des ersten Teils wieder an und macht so ein für alle Mal deutlich, dass den Machern der „neuen“ Alice-Filme einfach die nötige Kreativität für dieses Universum zu fehlen scheint.
Und das ist prinzipiell ein automatisches Todesurteil für einen Film, der sich im Wunderland von Carroll herumtreibt. Denn ein Mangel an Kreativität und Einfallsreichtum hat hier einfach keinen Platz. Aber fangen wir von vorne an: Regie übernimmt dieses Mal der Brite James Bobin ("Die Muppets"), während sich Autorin Linda Woolverton ("Maleficent") nach dem ersten Teil nun auch für das Drehbuch von „Hinter den Spiegeln“ verantwortlich zeigt. Allein inszenatorisch orientiert sich der Film in Großteilen an seinem Vorgänger, streicht aber den burton’schen Grauton, der im ersten Teil hier und da zum Vorschein kam. "Hinter den Spiegeln" gibt sich insgesamt also viel bunter und kindgerechter als Alice Nummero Uno. Und mag das zunächst nicht automatisch etwas Negatives sein, fühlt sich die visuelle Note vom „Hinter den Spiegeln“, so schön und detailliert sie manchmal auch seien kann, insgesamt äußerst leer und nichtssagend an. Weder schafft es Bobin seinen Bildern eine eigene inszenatorische Note zu verpassen, noch rühren sie im Zuschauer irgendeine Form von Emotion. Da mag es dann einige Ausnahmen geben (wie zum Beispiel das Innere des Schlosses der Zeit), diese sind für einen „Alice im Wunderland“-Film aber nach wie vor zu rar gesät.
Schaffen es Visualität und Ästhetik des Films zumindest noch hier und da den Zuschauer in die eigenartige Welt von Wunderland zu saugen, stößt spätestens die erneut höchst holprige Narrative komplett vom Film ab. Woolverton schafft es, wie schon in Teil 1, nicht in die Welt von Wunderland eine angemessene, faszinierende Geschichte einzuweben, sondern verlässt sich erneut auf ausgelutschte Storyklischees und unheimlich leere Dialoge. Die Zeitreisethematik durch die verschiedenen Zeitlinien Wunderlands mag zunächst noch interessant anmuten und schafft es zu Beginn durchaus für ein nettes Set-Up zu sorgen, am Ende verschreit sich das Drehbuch der Autorin aber (ebenso wie in Teil 1) der Exposition und unnötigen Erklärung. Hier wird erklärt, was es das Zeug hält, werden Hintergründe und Charaktermotivationen in einem Maß dargestellt und erläutert, wie es in einem „Alice im Wunderland“-Film einfach unangebracht scheint. Und das schlimmste daran: Die Aufdeckungen und Erläuterungen darüber, wie die verrückten Figuren überhaupt ihre Eigenart erlangt haben, sind meist weder sonderlich einfallsreich, noch in irgendeiner Form überraschend oder mitreißend, sondern sie ziehen, wie der gesamte Film, emotionslos am Zuschauer vorbei und hinterlassen einen faden Beigeschmack.
„Alice im Wunderland: Hinter den Spiegeln“ muss also leider erneut als absolute Enttäuschung des verschenkten Potenzials verbucht werden. Da kann auch der tolle Cast des Films nichts daran ändern, der sich hier dem absoluten Over-Acting verschreit. Das funktioniert manchmal ganz gut (Helena Bonham Carter), wirkt manchmal aber auch einfach nur nervig (Johnny Depp). Nur Sacha Baron Cohen ("Der Spion und sein Bruder") als „Zeit“ vermag wirklich zu überzeugen und viele Momente des Films zu retten. Ist die humoristische Note des Films insgesamt zwar eher schwach, holt Cohen das meiste aus seiner Figur heraus. Jedes Mal wenn der Brite auf der Leinwand zu sehen ist, hellt sich Wunderland ausnahmsweise mal etwas auf und deutet an, zu was eine vernünftige Verfilmung dieser Welt in der Lage wäre. Dem gegenüber setzt Mia Wasikowska ("Crimson Peak") ihr einseitiges Mienenspiel als titelgebende Alice fort und entzieht sich so jeder Bewertung. Diese Darstellerin ist als zweckmäßige Alice, die hier durch die leeren und emotionslosen Set-Pieces stolpert, einfach nur vor Ort und hinterlässt kaum einen nennenswerten Eindruck. Sie passt sich dem Film also im Prinzip perfekt an.
Und das führt dann dazu, dass die emotionale Note des Films, auf die vor allem im letzten Drittel gesetzt wird, nur selten funktionieren kann, sind dem Zuschauer die Figuren doch reichlich egal. Da werden die meisten Charaktere aus dem ersten Teil, sei es nun die Grinsekatze oder der weiße Hase, einfach in die Story hineinforciert, ohne dass sie irgendeine Form von Zweck erfüllen. Ebenso wie ein Großteil der Inszenierung des Films sowie die Geschichte wirken sie fehl am Platz, leer und hingeklatscht, ohne eine Form von kreativer Note und ohne ein echtes Verständnis für die Vorlage und die Welt, in der sich dieser Film bewegt.