Gesehen im Programm der Viennale 2024
Bereits seit hunderten von Jahren existiert der spanische Stierkampf, umstritten war er davon wohl die längste Zeit. Schon im 18. Jahrhundert war er zeitweise auf Anordnung des spanischen Königs verboten, in unserer heutigen Welt ist er längst nicht mehr tragbar. Die ritualisierte Tötung eines Stiers zu Unterhaltungszwecken erzürnt zurecht die Gemüter und für die meisten Menschen sind die schwachen Argumente der Verteidiger, vorrangig Traditionalisten und Nationalisten aus dem politisch rechten Spektrum, mehr als fragwürdig. Vermutlich ist es diese Fragwürdigkeit, die für manche wiederum eine Faszination birgt – auch wenn diese vielleicht nur daraus besteht, dass eine solch antiquierte Praktik noch immer Fürsprecher und Verteidiger findet. Der spanische Regisseur Albert Serra (Pacifiction) ist zweifelsohne einer dieser Faszinierten und unternimmt mit seinem Dokumentarfilm Afternoons of Solitude den gewagten und sicherlich nicht undiskutablen Versuch, einen neutralen Blick auf den bekannten Torero Andrés Roca Rey zu werfen.
Mit Ausnahme einiger weniger Szenen bleibt Serra hautnah an seinem Protagonisten, oftmals ist die Kamera frontal auf ihn gerichtet. So etwa in einer immer wiederkehrenden Einstellung, in der Rey zusammen mit anderen Toreros in einem Kleinbus sitzt, der ihn und seine Entourage vor und nach den Stierkämpfen transportiert. Besonders in diesen Szenen zeigt sich eine besonders fragile Form der Männlichkeit. Ein ums andere Mal müssen seine Mitstreiter jubelnd betonen, dass er der Tollste und der Beste ist, dass er die größten Eier hat. Überhaupt mischt sich bei Andrés Roca Rey, den man wohl als prototypisch für viele Toreros sehen kann, Machismo und Religion zu einer eigensinnigen Kombination. Neben der immer wiederkehrenden Bestätigung seiner männlichen Dominanz tauchen auch wiederholt Kreuze und Rosenkränze auf, die er vor und nach seinen Kämpfen küsst und trägt. Wie es scheint, wird sein Leben von diesen rituellen Praktiken bestimmt.
Beinahe wie ein Bruch wirkt dabei eine Szene, in der Rey angekleidet wird. Überhaupt scheinen die hautengen und üppig dekorierten Kostüme der Toreros auf den ersten Blick in einem Widerspruch mit den Werten und Traditionen des Stierkampfs zu stehen. Doch auch das ist Teil eines Rituals, das weit über den eigentlichen Schauplatz des Stierkampfs, über die Arena, hinausreicht. Jede Bewegung, jeder Blick wirkt einstudiert, die rituelle Kraft hat den Torero unter ihrer Kontrolle. Vielleicht führt Rey manches davon für die Kamera von Serra auf, wahrscheinlicher ist jedoch, dass sein Leben längst davon bestimmt wird. Noch viel zentraler als jene Momente vor und nach dem Kampf, sind jedoch die Szenen in der Stierkampfarena selbst.
Immer wieder müssen wir ertragen, wie ein Stier gequält und anschließend getötet wird. Mensch und Tier umkreisen sich und werden wiederum von Albert Serras digitalen Kamera umkreist. Schier endlos scheinen die Runden zu sein, die sie durch die Arena ziehen. Die Bilder werden von kraftvollen Farben bestimmt. Gelber Sand, rotes Blut – das verdreckte Fell der Stiere steht im Widerspruch zu den bunten Gewändern der Toreros. Die Nahaufnahmen fangen gequälter Gesichter ein und wir blicken dem Stier ins Auge. Auch wenn sich diese Bilder ein ums andere Mal wiederholen, tritt keine Gewohnheit, keine Abstumpfung ein. Wir müssen weiter leiden und Afternoons of Solitude macht deutlich, dass die Stiere lediglich Teil einer Inszenierung sind, die zwangsläufig mit deren Tod enden wird.
Albert Serra spart dabei die Moral gänzlich aus. Er zeigt, aber wertet nicht. Kein Wort des Urteils, kein Voice-Over oder Talking Head präsentiert uns eine Haltung zu dem Gezeigten. Aber ist Afternoons of Solitude dadurch wirklich neutral? Wohl kaum, denn seiner Wirkung kann man sich nur schwerlich entziehen. Serras Bilder wirken unmittelbar und evozieren zwangsläufig starke Reaktionen. Es ist spannend sich selbst bei diesem Erlebnis zu beobachten. Man steht auf einer Seite, wenn es zum Showdown zwischen Mensch und Tier kommt. Dass merkt man vor allem in jenen beiden Momenten, in denen Andrés Roca Rey von einem Stier erwischt und zu Boden geworfen wird. Entgegen jedes humanistischen Gedankens dominiert der Wunsch, er würde einfach liegen bleiben und von jenem Schicksal ereilt werden, das er so vielen Stieren zugefügt hat. Ein brutaler Gedanke, doch er passt zur Brutalität des Films, die einen ganz unversehens und auf unheimliche Weise korrumpiert. Erschreckende Momente, welche die verführerische Kraft der Bilder spürbar machen.