Ryoko ist Witwe und alleinerziehende Mutter. Als ihr Café wegen der Covid-19-Pandemie geschlossen werden muss, arbeitet sie tagsüber in einem Gartencenter und nachts in einem Sexclub. Das Leben ist für sie und ihren Sohn Junpei hart: Beide haben den Tod des Ehemanns und Vaters noch nicht überwunden, zudem wird Junpei in der Schule gemobbt.
Sieben Jahre ist her, dass ein tragischer Unfall die kleine Familie um Vater Yoichi (Joe Odagiri, The World of Kanako), Mutter Ryoko (Machiko Ono, The Bastard and the Beautiful World) und Sohn Junpei (Iori Wada) auseinanderriss. Mit dem Schicksalsschlag abgeschlossen hat seitdem weder die junge, alleinerziehende Witwe noch ihr Sohn im Teenageralter. Beide sind in Yuya Ishiis neusten Filmdrama auf der Suche nach Halt und Geborgenheit. Und obwohl die Covid-19-Pandemie nur am Rande in Form allbekannter Sicherheitsvorkehrungen in Erscheinung tritt, spitzt sie die Krisen des Mutter-Sohn-Gespanns vor allem auf finanzieller Ebene zu.
"Rote Zahlen" ist da nur eine von vielen möglichen Übertragungen, auf die der Titel A Madder Red hindeuten könnte, viele andere Rottöne finden sich außerdem in der Kleidung, den emotionalen Zuständen und der unmittelbaren Umgebung der Figuren wieder. Die Farbe ist das Einzige, das optisch aus den nüchternen und überwiegend blasskühlen Aufnahmen hervorsticht. In unaufgeregten Bildern entfalten sich zwei Handlungsstränge, die sich den verbliebenen Familienmitgliedern widmen und in ihrer zurückhaltenden, gewissenhaften und naturalistischen Inszenierung zeitweise an die Filme Ishiis Landsmannes Hirokazu Kore-eda (Shoplifters - Familienbande, Unsere kleine Schwester) oder an die des Koreaners Lee Chang-dong (Secret Sunshine, Burning) erinnern.
Die Stärke liegt dabei weniger in der äußerst überschaubaren Handlung, sondern bei den Hauptdarsteller*innen, die insbesondere in ihren gemeinsamen Szenen authentisch und eigenwillig interagieren. Beide hüten Geheimnisse voreinander, wissen um Schwierigkeiten des Anderen, versuchen, einander zu begreifen und zu helfen und gleichzeitig auf jede Hilfe zu verzichten. Ryoko befindet sich im ständigen Spannungsverhältnis zwischen Geldverdienst, Vergangenheitsbewältigung und eigenen Bedürfnissen. Ihr eher in sich gekehrter, wissbegieriger Sohn und dessen wechselhafte Befindlichkeiten rücken in den Hintergrund. Beide Problemwelten sind mehrschichtig, wenn auch nicht immer komplex ausgearbeitet, weil sie den Blick selten über den privaten Rahmen der Figuren hinaus werfen. Dafür äußern sich angestaute Emotionen in leisen Dialogszenen oder wenigen ungeduldigen Gefühlsausbrüchen durchaus glaubhaft.
Stets besänftigend ist das immer wiederkehrende Klavierthema, das trotz der Schwere einzelner Themen zur subtilen Zuversichtlichkeit beiträgt. Diese ist angesichts der Themen wie Verlustverarbeitungen, Finanzproblemen, Mobbingerfahrungen und missbräuchlicher Verhältnisse, Krebsdiagnose und Abtreibung ebenso akzentuiert wie die titelgebende Farbe. Die knapp zweieinhalb Stunden sind da durchaus spürbar, wenn nicht gerade die starken schauspielerischen Leistungen volle Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Fazit
„A Madder Red“ ist sensibel und spürsinnig eingefangenes Schauspielkino, das sich nicht vor einzelnen Längen bewahren kann, aber seinen mehrschichtigen Figuren ausreichend Raum zur Entfaltung bietet. Die emotionale Kraft bildet sich dabei ebenso schleichend heraus wie die ruhevollen geerdeten Bilder.
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