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"Too Old To Die Young" - Staffel 1 - Kritik

Souli

Von Souli in "Too Old To Die Young" - Staffel 1 - Kritik

"Too Old To Die Young" - Staffel 1 - Kritik Bildnachweis: © Amazon | Szene aus "Too Old to Die Young"

Kritik

„Zeit ist ein Fluss. Er fließt in beide Richtungen.“ 

Wenn Nicolas Winding Refn (Walhalla Rising) etwas nicht kennt, dann ist es wohl die Gnade im Umgang mit seinem Publikum. Too Old To Die Young, sein erstes Serienformat, produziert für den Streamingdienst Amazon Prime Video, fordert den Zuschauer über dreizehn auf zehn Episoden verteilte Stunden kontinuierlich heraus. Als offenkundiger Gegner des sogenannten Bingewatching hat der dänische Filmemacher hier ein Projekt aus dem Boden gestampft, welches zuallererst allen Merkmalen zuwiderläuft, die den heutigen Serienmarkt auszeichnen: Kurzweil, Tempo, oberflächliche Konsumierbarkeit. Too Old To Die Young hingegen funktioniert auf einer anderen, einer transzendenten Ebene, hat sich dabei aber voll und ganz der Kreuzung von Intellektualität und Sensualismus verschrieben. Oder anders gesagt: Es ist kompliziert, Worte dafür zu finden, worum es Refn hier geht, wenn man seine Vision von Kunst nicht fühlen kann.

Natürlich gibt es in Too Old To Die Young einige erzählerische Grundsäulen, auf denen sich Nicolas Winding Refn in all seinem schöpferischen Selbstbewusstsein niederlässt: Da hätten wir den Polizisten Martin Jones (Miles Teller, War Dogs), dessen Partner im Dienst kaltblütig von dem mexikanischen Kartellprinzen Jesus (Augusto Aguilera, Predator: Upgrade) umgebracht wird, weil dieser der Überzeugung gewesen ist, den Mörder seiner heiligen Mutter endlich aufgespürt zu haben. Natürlich bleibt es nicht dabei. Und natürlich ruht sich Refn auch nicht darauf aus, eine klassische Rachegeschichte anzustimmen, in der Miles Teller den Mord an seinem Kollegen sühnt. Stattdessen erhalten mit Yaritza (Cristina Rodlo, Miss Bala), Diana (Jena Malone, The Messenger) und Viggo (John Hawkes, Identität) Figuren Einzug in das Geschehen, die dieses nach und nach bis ins Mythologische transferieren. 

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Wer Only God Forgives oder The Neon Demon gesehen hat, der weiß, dass die Charaktere unter der Ägide von Nicolas Winding Refn nie wirklich nur für sich stehen, sondern eine höhere Bedeutung für sich beanspruchen. Sie entwachsen dem Gefüge aller irdischen Gesetzmäßigkeiten, ihre Existenz funktioniert nur selten zwischen Himmel und Hölle. Sie geht darüber hinaus. Die Charaktere sind mehr Prinzipien in einer moralisch verwahrlosten Welt, von echter Menschlichkeit ist oftmals keine Spur mehr zu finden, stattdessen sind sie vielmehr Gefäße, denen Refn die entsprechenden Triebe, Farben, Symbole zuordnet. In Too Old To Die Young treibt er diese künstlerische Gangart nun auf die Spitze und chiffriert unser Dasein zu einem gleichermaßen abstoßenden wie faszinierenden Paralleluniversum, in dem David Lynch (Twink Peaks) und Alejandro Jodorowsky (El Topo) genauso präsent sind wie die Verachtung gegenüber dem Trump-Amerika. 

Too Old To Die Young ist ein bisweilen unverschämtes Potpourri aus Genre-Sterotype, die im Verlauf der Handlung einfach nicht bestätigt werden, sondern konsequent unterlaufen oder gleich gänzlich bloßgestellt, um sich darüber hinaus als Konglomerat aus diversen kulturellen, film- wie kunstgeschichtlichen und biblischen Bezügen zu verstehen. Natürlich meistens sehr kryptisch gehalten oder ins Absurde ausbrechend, seinem Lieblingsthema aber schwört Refn weiterhin die Treue: Der Gewalt. Und in diesem Fall dringt er bis zu ihrer Wurzel vor. Und die Gewalt, mit der Too Old To Die Young auffährt, wird – wie alles an dieser Serie – viele Zuschauer an ihre Grenzen bringen, weil sie genauso ästhetisch wie auch verstörend ist. Nicolas Winding Refn verschleppt die erzählerische Geschwindigkeit oftmals bis zum Stillstand, zeitweise wirkt diese gar rückwärtslaufend.

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Wie eine formvollendete Aneinanderreihung von Gemälden, musikalisch bombadiert von Synth-Mastermind Cliff Martinez, reizt Nicolas Winding Refn die Geduld des Zuschauers schonungslos aus, brilliert mit audiovisuellen Kompositionen, die einen derart perfektionierten Gestaltungswillen aufweisen, dass einem ob all der elaborierten Kameraschwenks, den sensationellen Überblendungen und exakt aufeinander abgestimmten Neonfarben zwangsläufig schwindelig werden muss. All das unterliegt aber dem Gesetz der Bewegungslosigkeit. Der Plot wird soweit ausgedünnt, bis er endgültig durchsichtig ist. Die Fotografien erstarren in Statik. Too Old To Die Young ist schlafwandlerischer Existenzialismus, der immer wieder in eruptiver Brutalität und enthemmter Sexualität explodiert. Die außerordentliche Zerstörungswut, die Too Old To Die Young inne wohnt, ist ein mal bedrückender, mal durchaus lakonischer Kommentar in Richtung Gegenwart. Wir sind die Architekten und die Geschädigten all des Zorns und all des Leids, der uns umgibt.

Weil wir es bis hierhin haben kommen lassen. Weil es in unserer Natur liegt. Weil Gewalt der einzige Kommnikationskanal ist, den jeder Mensch auch ohne Geld, ohne Kontakte und ohne Bildung erschließen kann. Wie der Skorpion, der den Frosch töten muss, obwohl dieser die einzige Chance für ihn ist, den Fluss lebendig zu überqueren. Eben weil er nicht anders kann. Wenn man sich in den entschleunigten (und dieses Wort muss in diesem Fall mit Ausrufezeichen betont werden) Nihilismus von Too Old To Die Young einfinden kann, wird man einen berauschend-hypnotischen Diskurs über das reine Verlangen nach Selbsterhaltung erhalten. Angenehm erweist sich dieses erbarmungslose Nicolas-Winding-Refn-Konzentrat deswegen aber noch lange nicht, es bleibt ein von Anstrengungen gezeichneter Kampf. Aber er lohnt sich.

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„Wir glaubten, wir wären das Zentrum des Universums. Dass die Sonne und die Sterne alle um uns kreisen. Und in den 500 Jahren seit Kopernikus krochen wir allmählich dahin, wo wir jetzt sind. Zu diesem Gipfel menschlicher Leistung, auf dem wir die Natur unserem Willen unterworfen haben. Wir haben das Atom gespalten. Wir haben das Gefüge der Realität aufgebrochen. So weit haben wir es gebracht. Die Lichter der Stadt erstrecken sich jetzt weiter als die Sterne am Himmel. Doch je ausgefeilter die Gesellschaft wird, desto psychotischer werden wir. Wir haben uns durch Brutalität entwickelt, darum hatten wir Zähne und Krallen. Selbsterhaltung war das oberste Gesetz. Aber im Laufe der Zeit fing das Rudel an, für uns zu sorgen. Und wir gaben unsere gewalttäige Natur auf. Doch sie verschwand nie. Sie lag neben uns, während wir schliefen. Sie wartete. Und während sie wartete, wurden wie die Sklaven der Systeme, die wir aufbauten. Jetzt bricht alles auseinander. Bald werden unsere Städte von Fluten weggespült, in Sand begraben oder niedergebrannt.“

Fazit

Man muss sich dem Kampf stellen, zu dem Nicolas Winding Refn das Publikum mit "Too Old To Die Young" herausfordert. Wenn man sich in den existenzialistischen Nihilismus dieser Serie eingefühlt hat, erlebt man nicht nur eine ungemein selbstreflektorische Betrachtung der Fundamente unserer Gesellschaft, sondern wird auch Zeuge eines 13-stündigen Formats, welches als brachiale Ausnahmeerscheinung in der heutigen Serienlandschaft steht. Darüber hinaus ist Refns audiovisuelles Gespür unangefochten. Ein hypnotischer Rausch, gleichermaßen faszinierend wie abscheulich, ebenso wuchtig wie statisch. Ein Erlebnis. 


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