Das einzigartige Potenzial von Filmfestivals ist es, buchstäblich neue Perspektiven zu eröffnen. Das Publikum, ob Presse oder ziviler Zuschauerschaft, aus den bequemen Sehgewohnheiten zu rütteln und ihm neue Horizonte aufzuzeigen. In einer trotz beworbener Internationalität weiterhin eurozentrisch (und auch sonst oft das Gegenteil von divers) fokussierten Festival-Szene stößt man dabei auch auf Grenzen. Um darüber zumindest ein Stück hinauszublicken, fort euch dieses Special in eine neue Festival-Landschaft. Auf das Black Nights Film Festival, das vom 08. bis 24. November in Tallinn zum 28. das Kino feiert. Obwohl weniger bekannt als Cannes, Venedig und Locarno (Sorry Berlinale), lässt sich das mit ein paar Superlativen vorstellen.
Das Tallinn Black Nights Film Festival ist gegenüber den cineastischen Klassikern jugendlich. Im Gründungsjahr 1997 präsentierte es in der estländischen Hauptstadt 25 Filme nordischer Länder und etwas unter 5000 Besuchenden. Zur 28. Ausgabe dieses Jahr werden indes an die 80.000 Gäste erwartet. Vor zehn Jahren wurde das von Jahr zu Jahr an Popularität und Bedeutung wachsende Großereignis zum A-List Festival hochgestuft. Das internationale Programm versammelte erst 2022 über 500 Filme, was selbst die in Höchstzeiten ca. 300 Filme auffahrende Berlinale bescheiden aussehen lässt. So viel Kino ist in den üblichen 10-12 Tagen Festival-Laufzeit kaum zu schaffen.
Wohl auch darum sind die Black Nights mit 17 Tagen eines der längsten Film Festivals. Genug Platz, um dem exilierte Northern Lights Film Festival eine Leinwand zu geben. Jede Menge Preise gibt es auch, gegenwärtig in fünf Wettbewerben. Um die konkurrierend o vielfältige Produktionen wie das als surrealer Albtraum angekündigte Schauspielerinnen-Porträt A Sip of Hell von Pilar Boyle und Mariano Asseff, Seyfettin Tokmaks düsteres Jugenddrama Empire of Rabbits, der Geisel-Thriller 1978 von Nicolás und Luciano Onetti, Takashi Sugimotos minimalistische Schwarz-Weiß-Doku Black Gold, Ann Marie Flemings sozialphilosophisches Sci-Fi-Feature Can I Get a Witness? und Diego Figueroas harter Historienkrimi A Yard of Jackals.
Aus dieser Film-Flut, die von Anime über Experimentalfilm bis zu Midnight Madness und Debüts reicht fischen wir für euch die Perlen und Einblicke in das Geschehen vor Ort geben. Film-Festival Nächte sind lang.