Bildnachweis:

Sundance Film Festival 2022

von Patrick Fey

Es ist das Jahr 2022 und eigentlich sollte doch alles besser werden. Die Länder des globalen Nordens haben flächendeckend Vakzine zur Verfügung, vielerorts wurde gar schon geboostert. Doch das soziale Leben ist noch immer weit davon entfernt, sich zu normalisieren. Mutation über Mutation sorgen dafür, dass die Zulässigkeit der öffentlichen Räume immer wieder neu auf den Prüfstand gestellt werden müssen. Mit dem Sundance Film Festival hat nun das erste Großereignis des jungen Filmjahres Konsequenzen gezogen und sich, wie schon erstmalig im Vorjahr, vollständig auf die Online-Ausrichtung verständigt. Angesichts der aktuellen Omikron-Fallzahlen in den USA erscheint dies als der einzig richtige Schritt, wenngleich einige der nordamerikanischen Kolleg*innen sicher enttäuscht sein dürften, nicht vom pittoresken Park City selbst zu berichten und stattdessen einmal mehr an die eigenen vier Wände gefesselt zu sein.

Wenngleich die erneute Verlagerung des Festivals in den privaten Raum sich fundamental vom Kinoerlebnis unterscheidet, ist das Bestreben der Veranstalter doch zu erkennen, sich dem Eventcharakter eines physischen Festivals durch diverse Panels, Interviews und eine solide digitale Infrastruktur möglichst anzunähern. Auch dieses Jahr geben sich unter den Rubriken „US Dramatic Competition“, „US Documentary Competition“ und „Premieres“, die Creme de la Creme der unabhängigen nordamerikanischen Filmemacher*Innen die Ehre, während die dazugehörigen internationalen Rubriken „World Cinema Dramatic Competition“ und „World Cinema Documentary Competition“ den Fokus auf Regionen außerhalb der Staaten verlagern. Das von Robert Redford gegründete Festival galt schon immer als Chance für einen vielversprechenden Karrierestart und auch das Line-Up 2022 ist gefüllt mit Erstlingswerken. Unter den Vertretenen gehören wohl zu den bekanntesten Gesichtern der Schauspieler Jesse Eisenberg (The Social Network), der mit seinem Mutter-Sohn-Drama When You Finish Saving the World sein Debüt als Regisseur abgibt, sowie die beliebte Komikerin Tig Nataro (Army of the Dead), welche ebenfalls für Am I Ok?, einem Film über die komplexen Gefühle zweier langjährigen Freundinnen, zusammen mit ihrer Ehefrau Stephanie Allynne (Dave Made A Maze) zum ersten Mal auf dem Regiestuhl Platz nimmt.  

© Beth Garrabrant

Neben einigen weiteren Debütwerken besteht das Line-Up auch aus reichlichen Sophomore-Werken, also dem zweiten Spielfilm einer Regisseur*In, wie etwa im Falle von Phyllis Nagy (2015 Oscar-nominiert für ihre Patricia-Highsmith-Drehbuchadaption für Todd HaynesCarol), die mit Call Jane ihre erste Regiearbeit seit 2005 abliefert, sowie Cooper Raiff, der nach seiner Collegekomödie Shithouse nun mithilfe der Starpower Dakota Johnsons bei Cha Cha Real Smooth erneut vor und hinter der Kamera vertreten ist. Zu den bereits etablierteren Gesichtern des Festivals gehören das Regieduo Aaron Moorhead und Justin Benson (Spring, The Endless), deren neuer Film Something in the Dirt in der Kategorie „NEXT“ läuft, Riley Stearns (The Art of Self-Defense) mit seinem Klondrama Dual, sowie Ramin Bahrani (The White Tiger), dessen 2nd Chance, produziert von niemand geringerem als Joshua Oppenheimer (The Act of Killing), von dem Erfinder der kugelsicheren Weste erzählt. Ohnehin muten einige der Dokumentarfilme dieses Jahres äußerst vielversprechend an. Nicht nur unterzieht W. Kamau Bell mit seiner vierepisodischen Dokumentation We Need to Talk about Cosby dem kulturellen Phänomen Bill Cosby und den damit verbundenen Fällen sexualisierte Gewalt, Ziel des TV-Hosts und Stand-Up-Comedians ist es, Erklärungsversuche anzubieten, wie eine Gesellschaft wie die US-amerikanische Gesellschaft Bill Cosby überhaupt erst groß gemacht hat. Globalpolitisch verspricht im Gegensatz dazu The Exiles, ein dokumentarisches Regiedebüt Ben Kleins und Violet Columbus‘ (einer Tochter des Regisseurs Chris Columbus) über chinesische Exilanten, die in Folge des Massakers vom Platz des Himmlischen Friedens im Jahr 1989 das Land verließen.  

Ebenfalls vertreten mit ihrem Regie-Comeback Sharp Stick ist Girls-Schöpferin Lena Dunham, welche nun 12 Jahre nach ihrem Spielfilmdebüt Tiny Furniture sich wieder dem neurotischen Treiben verwirrter Endzwanziger widmet. Weitere Sektionen des Festivals umfassen die Rubrik „Kids“, dem Äquivalent der Berlinale Sektion Generation, in der dieses Jahr unter anderem Summering, der neue Film von James Ponsoldt (The Spectacular Now) läuft, sowie „Midnight“, einer eher nach Genre orientierten Sektion, die mit Fresh, dem Debütfilm der Musikvideokünstlerin Mimi Cave, einem Film über die Abgründe der Dating-App-Kultur, aufwartet. Das Genre-Kino lässt indes auch Noomi Rapace nicht los, anders lässt sich ihre Entscheidung kaum deuten, die sie nach dem gänzlich abseitigen Lamb nun ins mazedonische Hinterland des 19. Jahrhunderts führt, um sich in Goran Stolevskis Spielfilmdebüt You Won't Be Alone von einem alten Geist in eine Hexe verwandeln zu lassen. Wer könnte einem solchen Angebot wiederstehen?

Diese Seite verwendet Cookies. Akzeptieren.