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SUNDANCE FILM FESTIVAL 2014

von Andreas Köhnemann

„30 Years of Sundance Film Festival“: Vom 16. bis zum 26. Januar 2014 wurden zum dreißigsten Mal unter der Leitung des Sundance Institute in Utah die Arbeiten unabhängiger Filmemacher aus aller Welt gefeiert. Drei Werke, die in diesem Jahr auf dem Festival ihre Uraufführung hatten, sollen hier nun genauer betrachtet werden: Zum einen der „Dramatic Competition“-Teilnehmer „Happy Christmas“ von Joe Swanberg, und zum anderen Zach BraffsWish I Was Here“ sowie William H. MacysRudderless“, die beide in der Sektion „Premieres“ liefen. Alle drei wagen die komplexe Verschmelzung von Komik und Tragik, erzählen von existenziellen Krisen (in drei unterschiedlichen Lebensabschnitten) und haben ein Kernthema – nämlich die Familie.


Joe Swanberg
(Bilder (c) Andreas Köhnemann)

Happy Christmas“ ist ein Slice-of Life-Stück – ein Film, der uns über einen recht kurzen Zeitraum am Leben seiner Protagonisten teilhaben lässt und der dabei winzige, aber signifikante (mal schöne, mal desaströse) zwischenmenschliche Momente einfängt. Überdies ist er eine weibliche Form des Man-Child-Movies, über eine Frau Ende 20, die es mit dem Erwachsenwerden nicht allzu eilig zu haben scheint. Die Super-16-Produktion mit sympathischem Heimvideo-Flair stammt von dem unfassbar schöpferisch-effizienten Mumblecore-Darsteller und -Writer/-Producer/-Director Joe Swanberg, der sämtliche genannten Funktionen auch in „Happy Christmas“ innehat und hier eine sehr persönliche Arbeit vorlegt, die mit geringem Budget und Mini-Crew geschaffen wurde. Im Mittelpunkt des Werks steht das Thirtysomething-Ehepaar Jeff und Kelly (gespielt von Joe Swanberg und Melanie Lynskey), das mit dem zweijährigen Sohn Jude (Jude Swanberg) in Chicago lebt. Jeff ist im Filmbusiness, Kelly ist Autorin (eines Buches für „cool, smart people“), momentan jedoch ausschließlich eine Stay-at-Home-Mom. Der Alltag der Kleinfamilie wird gehörig durcheinandergewirbelt, als Jeffs slackerhafte Schwester Jenny (wunderbar: Anna Kendrick) nach der Trennung von ihrem Freund anrückt und sich im Keller einquartiert. Jenny ist 27, geriert sich aber zuweilen, als stehe sie in der Hochpubertät. Die unbeständige junge Frau kann spaßig und charmant sein – und schon im nächsten Augenblick zur Drama-Queen mutieren. Sie beherrscht das wortreiche Nichts-Sagen („This has been super fun!“), ist dem übermäßigen Alkohol- und Pot-Konsum keineswegs abgeneigt, und steht dem Thema „Verantwortung übernehmen“ irgendwie gespalten gegenüber.
Es macht die Großartigkeit dieses Films aus, dass er Jenny nicht zur Karikatur degradiert. Wenn sie etwa – gemeinsam mit ihrer Freundin Carson (Lena Dunham) – Kelly dazu ermutigt, an einem neuen Buch zu arbeiten, ist sie in ihrer unbekümmert-zuversichtlichen Art bezaubernd: Kelly solle doch – so meint Jenny – ein trashiges Erotic-Novel im Stil von „Fifty Shades of Grey“ schreiben, um rasch Geld zu verdienen und somit von sämtlichen finanziellen Sorgen befreit zu sein. Die Passagen, in denen die drei Frauen über Feminismus und Geschlechterrollen diskutieren und angeregt über Kellys neues literarisches Projekt brainstormen, erweisen sich als filmische Wundertüten voller Witz und Klasse – und sind obendrein Triumphe der Schauspielkunst: In allen Szenen des Werks wurden die Dialoge vollständig improvisiert.
Swanberg und seinem Team gelingt eine zeitgeistige Dramedy über die verschiedenartigen Lebensentwürfe (mittel-)junger Leute: über Ehe/Elternschaft versus Singledasein (bzw. Lebensabschnittspartnerschaften); über das Angekommen-Sein (und sowohl das Wohlbehagen als auch die Angst, die damit verbunden sein kann) versus die (ewige?) Suche nach dem geeigneten Platz (bzw. dem richtigen Menschen / Apartment / Job…). Der Regisseur und sein Ensemble beweisen ein feines Gespür für die Spannungen sowie die Peinlichkeiten, aber auch für das Gute, das sich aus dem Clash dieser unterschiedlichen Welten ergeben kann. Letztlich hätte man wirklich gern noch mehr Zeit mit diesen Figuren verbracht!


Zach Braff (rechts mit seinem Bruder Adam J. Braff)
(Bilder (c) Andreas Köhnemann)

Auch in „Wish I Was Here“ geht es um das Angekommen-Sein und um die ewige Suche. Doch während das Chaos in „Happy Christmas“ von außen – in der Gestalt Jennys – in die Kernfamilie (Vater/Mutter/Kind) hereinbricht, ist die Diskrepanz zwischen dem Etablierten und der Unrast hier nun in der Kernfamilie selbst angelegt. Aidan und Sarah (Zach Braff und Kate Hudson) haben eine Teen-Tochter (Joey King) sowie einen sechsjährigen Sohn (Pierce Gagnon). Sarah ist die Versorgerin – sie geht einer eintönigen Büroarbeit nach, indessen Aidan (seit vielen Jahren) eine Schauspielkarriere anstrebt; seine letzte „große Rolle“ hatte er allerdings in einem Werbespot für Anti-Schuppen-Shampoo. Als es Aidans Vater (Mandy Patinkin) nicht mehr möglich ist, das Schulgeld für seine Enkelkinder zu bezahlen, muss Aidan seine Follow-your-dream-Einstellung überdenken.
Wie Joe Swanberg bei „Happy Christmas“, fungiert Zach Braff bei „Wish I Was Here“ sowohl als Leading-Man als auch als Drehbuchautor, Produzent und Regisseur (wobei er das Skript gemeinsam mit seinem Bruder Adam J. Braff verfasste). Braff macht gewissermaßen dort weiter, wo er vor zehn Jahren mit seinem Regiedebüt „Garden State“ aufhörte; „Wish I Was Here“ kann in vieler Hinsicht als „Garden State über/für Mittdreißiger“ beschrieben werden. Abermals wird eine Vater/Sohn-Beziehung behandelt, diesmal noch ergänzt um einen weiteren Sohn – denn auch Aidans bloggendem Nerd-Bruder Noah (Josh Gad) kommt ein wichtiger Part zu; zudem wird die Beziehung zwischen Aidan und seinem Vater in Aidans Verhältnis zu seinen eigenen Kindern gespiegelt. Der Film bietet einerseits zahlreiche schwarzhumorige Sprüche, hat Tempo und zeigt hin und wieder Mut zur Albernheit, befasst sich jedoch andererseits durchaus ernsthaft mit Problemen und Krisen – etwa dem Umgang mit dem Tod nahestehender Menschen. Nicht alle Ideen, die in „Wish I Was Here“ untergebracht werden, können gänzlich überzeugen – der Rabbi, der sich an Katzenvideos auf YouTube erfreut und mit einem Segway gegen Wände prallt, wirkt beispielsweise wie eine überdrehte Coen-Kopie. Dennoch gibt es etliche brillante Einfälle, die das Werk sehenswert machen. Zu den schönsten (und zugleich traurigsten) gehört ein leerer Broschüren-Behälter mit der Aufschrift: „This pamphlet could save your life.“

Über den dritten Sundance-Beitrag, der hier noch kurz vorgestellt werden soll, darf man eigentlich kaum etwas verraten, da man keinen Zuschauer um das wuchtige Gefühl bringen möchte, das sich bei einer „unbedarften“ Sichtung einstellt. „Rudderless“ ist die erste große Regiearbeit des Schauspielers William H. Macy; im Zentrum der Geschichte steht Sam (Billy Crudup), dessen Sohn bei einem Campus-Amoklauf starb. Während seine Ex-Frau Emily (Felicity Huffman) eine neue Familie gegründet hat, hat sich der einstige Werbefachmann völlig zurückgezogen: Er lebt auf einem Segelboot und arbeitet als Maler. Als Emily ihm alte Musikaufnahmen des Sohnes übergibt, beginnt Sam die Lieder des Jungen zu hören – und diese gar in einer Bar vorzutragen. Dort wird Quentin (Anton Yelchin) auf Sam und auf die gut geschriebenen Songs aufmerksam. Der junge Mann kann Sam schließlich dazu überreden, mit ihm eine Band zu gründen.
Was nach der konventionellen Dramaturgie eines Erbauungsfilms klingt, nimmt in der zweiten Hälfte eine recht gewagte Wendung, durch die alles Bisherige einer Neubewertung unterzogen werden muss. Macy und seine Darsteller verfügen hierbei glücklicherweise über das nötige Fingerspitzengefühl und vermeiden alles Reißerische, das sich in diesem Zusammenhang aufdrängen könnte. Selten – dies kann mit Bestimmtheit gesagt werden – war höchste Dramatik so weit entfernt von billigen Sentiments, wie dies bei „Rudderless“ der Fall ist. Das Werk ist emotional fordernd – und wartet mit einer wirklich unvergesslichen schauspielerischen und gesanglichen Performance von Billy Crudup auf. Beeindruckend!

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