„Well, art is an act of violence. It is about penetration, about speaking to our subconscious and our moods at different levels.“
Es war nicht nur seine ausufernde Liebe zum Medium, die ihn dazu bewege, ohne jede fachliche Ausbildung 1996 Pusher zu drehen. Es war anfangs auch ein Schrei nach Aufmerksamkeit; das Verlangen danach, endlich den Rang einer echten Berühmtheit zu erlangen, welches Nicolas Winding Refn zu seinem schroffen Debüt angetrieben hat. Die wilden Jahre im verwaschenen Mantel der ignorant-egozentrischen Unerfahrenheit gehören inzwischen allerdings der Vergangenheit an und der dänische Durchstarter und Exportschlager muss nicht mehr um seinen professionellen Posten innerhalb der kritischen Filmwelt kämpfen, zweifelsohne aber um die Akzeptanz der gnadenlosen Cineasten. Vom abkupfernden Hipster, der sich mit Vorliebe an seinen auf Hochglanz polierten Fotografien aufgeilt und sich dabei viel zu gerne in gewaltverherrlichenden Ausuferungen vergisst, musste sich der polarisierende Autorenfilmer schon allerlei unrühmliche Bezeichnung gefallen lassen, die ihn und sein Schaffen mit bösartiger Zunge diffamierten.
Aber was verbirgt sich denn nun wirklich hinter dem Künstler, dessen Person durch Drive in der Öffentlichkeit einem extremen, beinahe absurd beharrlichen Hype verfallen ist? Zuerst einmal erfüllt Nicolas Winding Refn das maßgebliche Kriterium, um in der Filmwelt wirklich langfristig Fuß fassen zu können und so in seriösen Spektren zu fungieren: Die innige, nerdige und ohne Einschränkung ausgelebte Cinephilie. Refn ist nicht weniger Geek als, beispielsweise, Quentin Tarantino (Django Unchained). Er stellt seine Leidenschaft nur nicht als extrovertierte Attitüde aus, sondern kanalisiert jene in einem ruhigen, unaufgeregten Rahmen. Genau wie Refn in seinen involvierten Referenzen eine gänzlich stumpfe Vervielfältigung vermeidet und die tributzollenden Bezüge zu seinen Vorbildern nie dem simplen Selbstzweck überlässt, sondern dem obersten Gebot, mit antizipierter Courage zwischen der erlaubten Inspiration und dem verwerflichen Plagiieren zu differenzieren, folgt, und dieses in seiner vollständigen Aussagekraft verinnerlicht. Seine Bilder sind genuin.
Refn passt die offensichtliche Vorlage also seiner künstlerischen Vision an und paraphrasiert. Seine Affinität zum Genre-Kino ist dabei allgegenwärtig vernehmbar – er akzentuiert die intellektuellen wie emotionalen Hintergründe aber in eine differente, gewiss assoziative Richtung. Es kommt nicht von ungefähr, dass Refn seine Hauptcharaktere nicht nur ähnlich anlegt, sondern sie oftmals auch auf einen gleichen Nenner bringt, verschmelzen lässt und dabei lediglich die Epoche oder die Umgebung respektive das Milieu, in dem diese Figuren verkehren, verändert, und den Zuschauer sich abschließend fragen zu lassen, ob Refn hier wirklich Menschen aus Fleisch und Blut fokussiert, oder gar mannigfach deutbare Symbole für etwas viel Größeres modellierte. Und genau das ist eine der großen Stärken im Œuvre von Nicolas Winding Refn, die ihn auch für einen der Könige des Mitternachtskinos wie Alejandro Jodorowsky (El Topo) zur größten Hoffnung der Neuzeit macht: Er überlässt dem Zuschauer viel Raum für die Interpretation, die eigene Entfaltung und die daraus resultierende Deutung.
Refn braucht nicht viele Worte, um Tiefgehendes auszudrücken. Natürlich trifft ihn dort der Vorwurf der sinnentleerten Statik, seine meditative Entschleunigung ist hingegen nicht nur Teil der Stilistik, sie ist auch Teil des filmischen Bewusstseins Refns; Teil von Himmel und Hölle, von Gut und Böse, von Schwarz und Weiß. Mit dem Vorteil, dass Refn sich nie an solch eindeutigen Kategorisierungen vergreift und die bildgewaltige Poesie voller abgründiger Schönheit auf den Zuschauer eindreschen lässt. Und da kommen wir zu der kontroversen Brutalität, für die Refn schon so manche Schelte kassieren musste. Ohne Frage, die grafische Bestialität, die sich in Refns Filmen abspielt, tritt zuweilen in einem mehr als drastischen Umfang aus. Sie verfolgt allerdings einem entmystifizierenden Effekt und fleht nicht um Beifall. Refns Gewalt besitzt den Charakter des abschreckenden, furchterregenden Grauens, weil sie ein Produkt der Realität von uns allen ist, an die verwurzelten Ängste unseres Seins erinnert und den Wert, die Bedeutung der Menschlichkeit, das zentrale Paradethema in Refns Schaffen, immer wieder in einem neuen Licht erstrahlen lässt.
Man kann nun von Nicolas Winding Refn halten was man will, man muss seine Filme gewiss nicht mögen, vor allem dann nicht, wenn man einfach nichts in ihnen erkennen kann oder, auch wenn es natürlich tragisch ist, keinen Zugang zu ihnen findet. Man sollte allerdings wenigstens den Anstand besitzen und versuchen, sich mit dem Gesehenen auseinandersetzen, denn hinter seinen penibel durchkomponierten Bildern, dem ästhetischen Schwelgen im stimulierend-suggestiver Minimalismus, der wenig handlungsbezogenen Erzählökonomie, steckt immer ein doppelter Boden, der Refn zwar nicht zum Meister der Psychologie erhebt, aber verdeutlicht, dass es ihm um viel mehr geht als um die bloße Unterhaltung, die seichten Konventionen, das teilnahmslose Konsumieren. Diejenigen, die sich mit Refns Eigenart anfreunden können, werden sich sicher glücklich schätzen, einen solchen Virtuosen für sich entdeckt zu haben. Und verdammt, der Mann wird ihnen mit Sicherheit noch einige schöne Stunden bescheren, denn um jetzt noch wirklich enttäuschen zu können oder gar eindimensional zu wirken, ist seine individuelle Gangart einfach viel zu ausbalanciert zwischen (post-)modernem Gestus und dem nostalgischen Brauchtum seiner Inspirationsmotive.
Ab Donnerstag ist sein neuer Film The Neon Demon im Kino zu sehen.