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Interview mit Jeff Nichols, dem Regisseur und Drehbuchautor von "The Bikeriders"

Tiger

Von Tiger in Interview mit Jeff Nichols, dem Regisseur und Drehbuchautor von "The Bikeriders"

Interview mit Jeff Nichols, dem Regisseur und Drehbuchautor von "The Bikeriders" Bildnachweis: © Olivier Borde / Universal Pictures

Als großer Filmliebhaber stellt man sich ständig unzählige Fragen: „Warum tut der Regisseur dieses oder jenes oder warum erzählt er die Geschichte auf eine bestimmte Art und Weise?“ Und in solchen Momenten wünscht man sich nichts sehnlicher als den Regisseur oder den Drehbuchautor persönlich fragen zu können und wenn man, die Gelegenheit dazu bekommt es wirklich zu tun, dann fühlt es sich großartig an. Vor allem, wenn man Jeff Nichols vor sich hat, einen Filmemacher, der Feuer und Flamme für seine Filme ist und mit einer solcher Leidenschaft und Liebe zum Detail über sie spricht, dass man sich augenblicklich von ihm mitreißen lässt. Ich hatte das Glück Jeff Nichols zu seinem neuen Film The Bikeriders zu interviewen:

Wie sind Sie zum allerersten Mal auf diese Story aufmerksam geworden?

Einfach wegen des Buchs. (Anm. d. Red.: Der Film ist von dem Fotobuch „The Bikeriders“ von Danny Lyon aus dem Jahr 1968 inspiriert). Mein Bruder gab es mir. Ich bin der jüngste von drei Brüdern und mein ältester Bruder ist Musiker in einer Band namens Lucero. Sie haben Musik für meine Filme gemacht. Mein Bruder war immer der Coolste in unserer Familie und er hat mir das coolste Buch gegeben, das ich je gelesen habe.

Sie haben das Fotobuch von Danny Lyon vor 20 Jahren erhalten. Warum hat es so lange gedauert, bis sie den Film gemacht haben? War die Zeit noch nicht reif für den Film?

Ich war noch nicht so weit. Im Sommer 2008 habe ich Take Shelter und Mud geschrieben und ich habe sie beide Michael Shannon gegeben. Er fragte: „Welches möchtest du zuerst machen?“ Und ich sagte: „Take Shelter“ und er antwortete: „Was ist mit „Mud“? Es sind nur ein paar Kinder, die auf einem Boot herumlaufen.“ Und ich sagte: „Ich habe nicht die Regiefähigkeiten dafür und ich bin nicht berühmt genug, um Matthew McConaughey anzurufen.“

Ähnlich verhält es sich mit The Bikeriders. Ehrlich gesagt, hatte ich einfach nicht das Zeug dazu. Ich hatte nicht die nötigen Fähigkeiten, um zu wissen, wie man es angeht. Ich hatte Verständnis dafür, was Danny getan hatte. Ich verstand, dass er nicht nur ein Fotograf war, sondern tatsächlich ein Anthropologe. Er hat zwischen seinen Fotos und seinen Interviews die Unmittelbarkeit einer Subkultur eingefangen. Und als Filmemacher, der daran interessiert ist, Menschen in eine Welt zu entführen, mit der sie möglicherweise nicht vertraut sind oder in der sie sich nicht wohlfühlen, benötigt man all diese Details und Danny hatte sie alle auf eine wirklich schöne Art und Weise gesammelt. Ich musste mir nur eine Handlung ausdenken, und dafür habe ich etwa 20 Jahre gebraucht.

Sind alle Figuren fiktionalisierte Versionen von echten Menschen?

Jeder ist fiktionalisiert, sogar Danny. Tatsächlich habe ich neulich ein Interview mit Danny geführt und er sagte, das sei das Einzige, was ihm an dem Film nicht gefällt. Er protestiert, weil er sagt, er sei viel „dreckiger“ gewesen als Mike Faist. Er nimmt die Tatsache, dass er selbst ein Rebell war, wirklich sehr ernst. Das ist wirklich schwierig, es zu erklären oder darüber zu sprechen. In dem Buch wurde eine echte Kathy interviewt. Es gab einen echten Mann namens Johnny, der den Club gegründet hatte. Kathy war mit einem echten Mann namens Benny verheiratet. Es gab einen Typen namens Brucie, aber er ist nicht auf die Art und Weise gestorben, wie ich es dargestellt habe. Ungefähr 70 Prozent der Dialoge aus dem Film stammen wahrscheinlich direkt aus diesen Interviews, aber der Plot stammt von mir und es gab nie diese Dreiecksbeziehung zwischen den drei Personen. Kathy war mit Benny verheiratet, aber ich habe keine Ahnung, wie Johnny sich fühlte. Johnny war kein wirklich großer Charakter in dem Buch. Ich sage Charakter, doch es sind Menschen. Mir wurde ziemlich schnell klar, wenn Kathy noch am Leben wäre und sie würde zu mir kommen, dann könnte ich ihr nicht in die Augen schauen und sagen: „Ich habe deine Geschichte erzählt.“ Ich habe gerade mal diesen Teil aus dem Jahr 1965 erzählt, in dem sie interviewt wurde. Ich habe das alles übernommen, aber den Rest habe ich erfunden. „Ich habe keine Ahnung, was mit dir passiert ist, Kathy.“ Man muss also sagen, es ist Fiktion, aber es ist Fiktion, die stark von diesen Interviews mit diesen Leuten beeinflusst wird.

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© 2024 Focus Features, LLC. All Rights Reserved | Set-Bilder zu The Bikeriders

Sie sind Drehbuchautor und Regisseur zugleich. Welche Herausforderungen hatten Sie im Kontext dieses Films und im Kontext von „Loving“, die sich ja beide auf existierende Personen stützen?

Es war interessant, diesen Film nach Loving zu machen. (Anm. der Red.: „Loving“ ist ein Film über eine Ehe zwischen einer Schwarzen und einem Weißen, die in dem Bundesstaat Virginia in den 60en unter Strafe stand). Ich glaube nicht, dass ich es ohne Loving geschafft hätte, weil es zwei ziemlich unterschiedliche Projekte sind. Offensichtlich nicht nur ästhetisch oder narrativ, aber auch im Hinblick auf die Art und Weise, wie ich an sie herangehe. Was Loving angeht: Ich bin ein weißer Mann aus der Mittelschicht, der 1978 geboren wurde und es war nicht meine Aufgabe, ihre Geschichte zu fiktionalisieren. Es war einfach meine Aufgabe, so viel wie möglich über sie als Menschen zu lernen und sie so angemessen wie möglich darzustellen. Das war ganz anders bei The Bikeriders. Ich wollte nicht die Geschichte der Motorradfahrer an sich darstellen, eigentlich interessiere ich mich nicht besonders für die Motorradkultur. Ich interessiere mich auch nicht wirklich für zeitgenössische Biker-Gangs. Mich interessierten die Menschen, die Danny interviewt hat, doch irgendwann mal wurde mir klar, dass die Fiktionalisierung mir tatsächlich die Freiheit geben würde, näher an das Buch heranzukommen. Es wird ein bestimmtes Gefühl ausgelöst, wenn man das Buch liest und die Fotos anschaut. Es entsteht eine Spannung zwischen den Fotos und den Interviews. Die Fotos sind romantisch, sie sind wunderschön. Die Interviews sind manchmal aggressiv, manchmal humorvoll. Man blickt auf jeden Fall hinter die Fassade und dahinter herrscht Spannung. Um dorthin zu gelangen, musste ich fiktionalisieren. Wenn ich mich der Herausforderung gestellt hätte, einfach nur zu versuchen, die Geschichte der Chicago Outlaws zu erzählen, die ein echter Club waren, den Danny fotografierte, der die zweitgrößte Motorradgang der Welt wurde, wäre es nicht diese Geschichte. Die Geschichte lag mir am Herzen. Es war mir wichtig, wer die Leute auf den Seiten des Fotobuchs waren. Deswegen brauchte ich die Freiheit, das ganze Drumherum fiktionalisieren zu können. Damit ich tatsächlich herausfinden kann, was meiner Meinung nach der Wahrheit in dem Buch am nächsten kam.

Austin Butler sieht in seiner Rolle wie James Dean aus. War dieser Look von Anfang an geplant oder war es eher Zufall?


Ich würde sagen, es ist nicht sein Aussehen. Es war etwas, das ich beim Filmen entdeckt habe und das sich im Schnitt noch vertieft hat. Es war eine Fehleinschätzung meinerseits, als diese echte Frau, Kathy, über ihren Mann spricht. Sie hat Benny geheiratet und spricht davon, dass er emotional nicht erreichbar sei. Er ist innerlich irgendwie tot. Und als ich Regie führte, war Austin Butler so verdammt charmant. Ich sagte immer wieder: „Hör auf zu lächeln! Nein! Stopp!“ Und er konnte nicht, er konnte einfach nicht anders. Und ich meinte: „Du musst emotional nicht erreichbar sein, du musst innerlich tot sein!“ Aber ich hatte Austin Butler, der das Gegenteil von innerlich tot ist. Dann wurde mir klar, dass es vielleicht ein Vorteil ist. Jetzt haben wir diese Person, die voller Emotionen ist und all diese Dinge hat, und es ist, als hättest du ihm den Mund zugehalten. Und er kann nicht kommunizieren und er kann sich nicht ausdrücken. Und das ist James Dean. Wenn man Rebel without a Cause (Anm. d. Red.: ... denn sie wissen nicht, was sie tun) betrachtet, dann ist es ein Mann, der nicht in der Lage ist, alles auszudrücken, was in ihm vorgeht. Und genau das hatten wir dank Austin Butler. Er war besser als geplant.

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 Ist „The Bikeriders“ der neue "The Wild One" oder „Easy Rider“ unserer Generation oder ist es etwas völlig anderes?

Ich denke, es ist etwas Eigenständiges, und ich sage das nicht, weil ich nicht möchte, dass es einer dieser Filme ist, aber sie waren repräsentativ für ihre Zeit. Wenn man sich The Wild One ansieht, ist es ein Produkt des Studiosystems der 1950er Jahre. Es beginnt mit diesem kitschigen Bild von Marlon Brando und einem Fake-Motorrad mit Rückprojektion hinter ihm. Es sieht heute fast absurd aus. Was The Wild One tat, was ich faszinierend finde, ist immer noch diese Idee der Rebellion, die wahrscheinlich besser dargestellt ist, als es irgendjemand jemals getan hatte. „Wogegen rebellierst du? Was hast du?“ Ich kann mir nicht vorstellen, dass es einen Teenager oder ein Punkrock-Kid auf der Welt gibt, der es nicht nachvollziehen kann. Also möchte ich dem Film seinen Wert nicht absprechen, aber seine Ästhetik ist völlig anders. Das Erstaunliche ist, dass man dann, etwa 15 Jahre später, Easy Rider hat. Was zum Teufel ist in diesen 15 Jahren in der Gesellschaft und in der Kultur passiert, dass man jetzt diesen Drogenfilm der Gegenkultur präsentiert? Das ist im Grunde ein amerikanischer Independentfilm, der aus einem völlig anderen System kommt als The Wild One und was auch immer passiert ist, genau das wollte ich in einem Film über diese Zeit machen und eine Verbindung zu diesen beiden Filmen herstellen. Darüber wollte ich einen Film machen.

Warum haben Sie den Film aus der Sicht von Kathy gemacht? Und nicht aus der Sicht von Benny oder Johnny?


Der pragmatische Grund ist, weil sie die Interessanteste ist, wenn man sich die Interviews im Buch ansieht. Sie ist introspektiv, sie ist selbstironisch. Sie ist manchmal verärgert. Sie ist eine echte Person aus Fleisch und Blut, die sich mit der Realität auseinandersetzt, warum sie sich mitten in dieser Welt befindet. Ich habe mich in sie verliebt. Wenn man sich vorstellt, dass dieser Film aus der männlichen Perspektive erzählt wird, ist er zu schwerfällig. Einer der Subtexte des ganzen Films ist, dass Männer sich nicht ausdrücken können. Wenn man das mit dem Film aussagt, warum sollte man dann einen von ihnen als den Erzähler auswählen? Der Film wäre falsch, er würde nur um Angeberei gehen. Es wäre sehr schwierig, zum Kern der Sache vorzudringen. Doch dann gibt es noch Kathy und Kathy ist der Typ Mensch, und das kann man in den Interviews lesen, bei dem es sich anfühlt, als würde sie sprechen. Sie versucht herauszufinden, was in ihrem Leben vor sich geht. Es geschieht in Echtzeit direkt vor ihren eigenen Augen und es ist sehr liebenswert.

Der Film vereint unterschiedliche Perspektiven auf die Motorrad-Kultur. Zum einen gibt es da die Perspektive von Kathy, die in einen Bikerider verliebt ist. Dann gibt es noch die Perspektive von Danny, der die Interviews führt und dann haben Sie noch Ihre eigene Sichtweise. Können Sie etwas darüber erzählen?


Ich werde Folgendes erzählen und vielleicht bringt uns das zur Antwort. Es gibt nur eine Szene, die ich aus diesem Film herausgeschnitten habe, und zwar eine Szene mit Mike Feists Charakter Danny. Es war die einzige Szene ohne Biker und ich erinnere mich, als wir es filmten, drehte sich Mike Feist zu mir um und sagte: „Das wirst du nie in den Film aufnehmen.“ Ich sagte: „Absolut nicht. Dies ist meine Gelegenheit, anhand der Figur Danny meinen Standpunkt darzulegen und zu zeigen, warum es wichtig ist, mit diesen Menschen zu sprechen." Und es war die erste Szene, die ich aus dem Film herausgeschnitten habe. Ich hatte sie nicht einmal im Schnitt. Ich habe tausend Dollar mit ihm gewettet, dass es drin bleiben würde, aber ich werde es ihm nie bezahlen. (lächelt) Was es wirklich bedeutet, ist, dass ich versucht habe, dort meinen eigenen Kommentar einzufügen, weil es eine Szene zwischen Danny und einer Frau war, mit der er aufs College ging und sie in seinem dunklen Zimmer waren, das nur sein Badezimmer war. Sie rauchen einen Joint und sie schaut sich diese Fotos an und sagt: „Wie kannst du mit diesen Leuten reden?“ Und er gibt eine Antwort. Das ist halb Blödsinn und halb wahr und es war wirklich ich, der sie alle ansah und sich fragte: „Warum tue ich das?“ Und was ich herausgefunden habe, war, dass es für die Erzählung nicht wichtig war. Wir können darüber reden und ich kann meine Antwort geben, aber die Wahrheit ist, in der Erzählung wollten wir die Leute nicht ablenken. Wir wollten, dass sie auf Kurs bleiben. Das passierte unmittelbar vor der Szene mit dem roten Kleid und das Publikum war bereit dafür, bereit für die Veränderung im Film. Ich weiß nicht, ob das Ihre Frage direkt beantwortet, aber es ist definitiv ein Teil eines Prozesses, bei dem ich verstanden habe, wo mein Standpunkt hineinpasst, und die Wahrheit ist, dass er nicht direkt in den Film passte.

Warum haben Sie die Schauspieler für diese Charaktere ausgewählt. Haben Sie nach Ähnlichkeiten zu den Fotos gesucht oder ging es mehr, um die Gefühle, die sie auslösten. Auf welche Art suchten Sie nach Ähnlichkeiten zwischen Mike Feist und Danny Lyon? Oder waren Sie auf der Suche nach jemandem, der die Männlichkeit verkörpert?

Die Wahrheit ist, dass wir Glück hatten, Mike Feist für diese Rolle zu gewinnen, denn diese Rolle hätte auch von einem Mauerblümchen gespielt werden können. Es hätte jemand gewesen sein können, der einfach nur da sitzt und darauf wartet, die wenigen Zeilen zu sagen, die er hat. Aber Mike ist ein wirklich kluger Kerl und er interessiert sich wirklich für Kunst. Er ist wirklich daran interessiert, zu erfahren, wie die Dinge funktionieren. Er schreibt selbst ein Drehbuch, ich glaube, er möchte selbst Filmemacher werden. Was wir bekommen haben, ist ein Typ, der wirklich zuhört. Das größte Kompliment, das ich von ihm bekommen habe, war: Er wuchs in Ohio auf, in Columbus, und er sagte: „Meine Großmutter rauchte für gewöhnlich Zigaretten am Küchentisch, und sie hatte einen starken Akzent aus dem Mittleren Westen“, und irgendwann, als Jodie Comer mit ihm redete und schauspielerte, meinte er: "Es kam mir vor, als wäre ich in der Küche meiner Großmutter.“ Das zeigt mir, dass er wirklich aufmerksam ist, dass er wirklich zuhört. Wenn ich also auf ihn zurückkomme: Ja, er ist ganz anders als der Rest der Jungs und das hilft, weil er wirklich ein Außenseiter ist. Ich denke, das ist einer der Gründe, warum Danny sich nicht mit sich selbst als Figur des Films identifiziert, denn Danny ging nach Great Lakes, um sich dort sehr schmutzig zu machen und Teil dieser Jungs zu werden, ein Teil dieser Welt, damit sie sich wohlfühlen und ihm anvertrauen. Das war ein Teil, den wir im Film anders behandelt haben. Wenn Sie nach dem Rest der Besetzung fragen, war das Casting ein wirklich kniffliger Prozess, weil es tatsächlich der wichtigste Teil ist und ich beim Casting wirklich Glück hatte. Ich habe Austin besetzt, bevor Elvis herauskam, und als ich ihn traf ... Wissen Sie, in dem Buch gibt es etwas Interessantes an Benny. Es gibt mehrere Fotos von ihm, aber sie zeigen nie sein Gesicht und er wurde nie direkt interviewt. Über ihn wird nur von Kathy gesprochen. Schon auf den Seiten des Buchs ist er irgendwie wie ein Mythos und ich habe ihn als solchen beschrieben. Er wirkt fast wie eine Legende in der ersten Stunde des Films und dann ändert sich das. Wenn man Austin Butler persönlich trifft … Er ist legendär. Ich meine, er kann die Last dieser Mythologie tragen. Ja, körperlich ist er wunderschön, aber in ihm gehen noch all die anderen Dinge vor, über die wir gesprochen haben. Es war unbestreitbar. Er war der erste Mann, den ich für die Rolle traf, und ich habe ihn sofort besetzt. 

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Bei Jodie war ich nicht schlau genug. Ich hatte Killing Eve nicht gesehen. Meine Casting-Direktorin Francine Maisley sagte, es war unglaublich. Sie meinte: „Bring sie dazu, "Ja"zu sagen.“ Also machte ich mit ihr ein Zoommeeting. Das einzige Mal, dass Francine das zuvor zu mir gesagt hat, war bei Midnight Special. Ich habe mich mit einem Schauspieler getroffen, mit dem ich nicht sehr vertraut war, und sie sagte: „Bring ihn einfach dazu, ja zu sagen.“ Und das war Adam Driver. Also habe ich gelernt, Francine zuzuhören. Und zum Glück sagte Jodie ja, aber erst, als ich sie in „Prima Facie“ sah. Das ist ein „One-Woman“ Theaterstück, das im West End lief. Ich war in London, eigentlich um Tom zum ersten Mal zu sehen, und ich spazierte nach dem Stück raus und dachte: „Das ist die beste Leistung, die ich je gesehen habe, und das ist die Hauptdarstellerin meines Films. Und sie ist wirklich eine der besten Schauspielerinnen, mit denen ich je zusammengearbeitet habe. 

Und dann gibt es noch Tom Hardy, mit dem wir einfach Glück hatten. Er sagte ja, aber Tom Hardy ist kein traditioneller Schauspieler. Tom Hardy ist eine Naturgewalt, das ist er wirklich. Er ist wie ein Tornado, ein Hurrikan oder ein Zugunglück. Man kann einfach nicht wegsehen und es ist gefährlich und es ist sexuell. Diese Szene am Lagerfeuer, wo er Austin so nahe kommt ist so sinnlich, gefährlich, unangenehm und erstaunlich. Das ist alles Tom Hardy, es wurde nicht so geschrieben. Die Zeilen sind alle gleich, aber die Art und Weise, wie er es vorgetragen hat, war außergewöhnlich.

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Michael Shannon ist ein traditioneller Schauspieler in dem Sinne, dass Mike keine Lust hat, den Text nicht zu sagen. Aber das Erstaunliche an Mike ist: Am selben Abend gibt es einen Monolog, den er am Lagerfeuer hält, diese Geschichte über einen Mann, der sich am Abend vor dem Draft-Board-Meeting so betrunken hat, dass seine Mutter ihn aus dem Bett ziehen muss. Und dann stinkt er nach Wein und besteht die Prüfungen nicht. Und bevor wir es drehten, kommt Mike Shannon auf mich zu. Wir reden normalerweise nicht und wir proben nicht, weil er so verdammt schlau ist und er macht einfach alles richtig. Aber er kam auf mich zu und sagte: „Jeff. Du denkst, diese Szene ist ziemlich lustig, nicht wahr?“ „Ja, ich finde sie ziemlich lustig, Mike.“ „Ich finde sie überhaupt nicht lustig.“ Ich dachte mir, na gut, zeig mir, wie das aussieht und er setzte sich. Er lässt all diese jungen Schauspieler am Lagerfeuer sitzen und zuschauen. Das Ende an sich war also ziemlich erstaunlich und wir sind in unserer ersten Drehwoche und er fängt an und bringt alle zum Lachen. Und er übernimmt die Rolle des Typen vom Militär, der ihm sagt: „Wir wollen dich nicht. Du bist eine unerwünschte Person. Wir wollen dich nicht.“ Karl Glusman,  ein  junger Schauspieler, lachte und Michael sah ihn an und es gab niemanden mehr, der lachte. Und Mike hat eine wirklich gute Rede gehalten, die ich für ihn geschrieben habe, und er hat es großartig gemacht, weil er in einer Szene im Grunde die Psychologie dieser Jungs offengelegt hat. Warum sie die Mainstream-Gesellschaft ablehnen, sich aber dennoch verletzt fühlen, weil sie als Außenseiter gelten. Es ist eine wirklich seltsame Sache. Es ist eine seltsame Psychologie, aber er hat es auf den Punkt gebracht. Alles in dieser einen Rede. Und das ist Michael Shannon.

Was ist Ihre Lieblingsszene aus dem Film?

Das ist schwierig. Ich habe viele davon. Ich meine, ich habe viele tolle Momente. Diese Schauspieler sind so gut. Man soll sich nicht selbst auf die Schulter klopfen, aber ich könnte mir wirklich 15 davon aussuchen. Es gibt jedoch eine, die heraussticht. Es gibt eine Szene, in der Tom Hardys Figur am Ende des Films vorbeikommt. Er kommt an Kathys Haus vorbei und sie geht auf die Veranda hinaus. Ich liebe diese Szene! Denn, wir haben hier diesen Mann, der nicht in der Lage ist, wirklich zu fragen, was er will, und Tom schafft es großartig, das unter Verschluss zu halten und irgendwie zu unterdrücken. Aber es ist das, was Jodie tut, während er redet, weil sie immer wieder sagt: „Was brauchst du?“ „Nichts.“ „Was brauchst du?“ Und er sagt: „Nichts“ und sie macht diese Sache, als sie sich festhält und geht. Und es sieht so aus, als würde sie einfach erkennen, dass dieser Mann nicht in der Lage dazu ist zu sagen, was er sagen möchte. Er will sagen: „Ich möchte Benny sehen. Ich liebe Benny. Ich möchte mit dir reden, denn wenn ich nicht mit Benny reden kann, bist du das, was ihm am nächsten kommt. Wir haben diesen jungen Mann geteilt und ich liebe ihn und ich habe Angst und ich habe Angst vor dem Sterben und ich habe Angst davor, wo ich auf der Welt bin.“ All diese anderen Dinge möchte er sagen und er kann nichts davon sagen. Und sie akzeptiert es. Es ist fast so, als würde sie ihn vom Haken lassen. Mit diesem Blick, den sie ihm gibt. Und ich liebe es einfach. Ich liebe die Vorstellung in diesem Moment einfach.

Können Sie uns etwas über Ihren Regiestil erzählen? Sie haben das Drehbuch geschrieben und wie sehr achten Sie darauf, dass die Schauspieler genau das machen, was im Drehbuch steht, oder dürfen sie bei  den Dialogen viel improvisieren?

Ich liebe es nicht, wenn sie die Dialoge ändern. (lacht) Ich habe viel Zeit mit diesen Drehbüchern verbracht und ich führe Regie auf diesen Seiten, also habe ich mir das alles vorher erträumt. Mein Kameramann sagt mir etwas und ich kann es sofort in meinem Kopf sehen, ich kann alles in meinem Kopf sehen. Aber dann gibt es eine Szene, über die ich bereits gesprochen habe, wie Tom Hardy und Austin Butler am Lagerfeuer sitzen. Diese Szene ist so geschrieben, dass zwei Männer sich gegenüberstehen. Und dieser ältere Mann sitzt auf der Kante seines Motorrads, aber irgendwann steht er auf, stellt sich vor Benny und bietet ihm den Club an. Ich glaube, dass ich geschrieben habe, dass er ihn an der Brust berührt. Sie sollten sich gar nicht näher kommen. Dann drehten wir weiter. Es ist sehr schwierig, nachts zu drehen. Es erfordert viel Vorbereitung und viel Licht. Und wir wollten diese Szene nachts drehen. Also mussten wir vorab Licht machen und vorher auswählen, wo unser Kran sein sollte, weil wir dieses große Licht hatten, das eine Art Natriumdampf über diese Schauspieler werfen würde.
Ich sagte: "Wenn hier die beiden Schauspieler sind, stellen wir einfach die Kranbasis hier hin, denn ich werde es in diese Richtung über die Schulter und in diese Richtung über die Schulter drehen. Unsere Kameras werden niemals diese Richtung sehen." (Anmerkung der Redaktion: Jeff Nichols zeigt in unterschiedliche Richtungen, um zu veranschaulichen, wo der Kran mit der Kamera stand)
Dann steigt Tom Hardy von seinem Motorrad und er kommt immer näher und näher, und meine Steadycam kommt vorbei, und aus dem, was eigentlich ein Single-Shot über die Schulter sein sollte, wird ein Two-Shot. Ich schaue zu Adam, meinem Kameramann, der bei allen meinen sechs Filmen gefilmt hat und er senkt einfach den Kopf, weil es uns nicht gefiel, und Toms Gesicht wird dunkel, aber Tom Hardy ist so verdammt gut, dass er seinen Kopf so dreht. (Anmerkung der Redaktion: Jeff Nichols dreht seinen Kopf) Dieser Lichtstrahl fällt auf sein Gesicht und plötzlich sieht es so aus, als ob er Austin gleich küssen würde. Ich erinnere mich, wie ich dort saß, … ich bin seit 16 Jahren mit meiner Frau verheiratet und das ist das Erotischste, was ich je gesehen habe. (Alle lachen) Und ich konnte nicht glauben, dass er alle Zeilen genau so gesagt hat, wie sie geschrieben waren, aber es ist eine völlig andere Szene. Wenn wir also über Improvisation sprechen, wenn wir darüber sprechen, was Schauspieler mitbringen, dann ist das die ganze Welt. Man kann ein sehr gutes Drehbuch haben, das sie großartig machen können. Ich würde behaupten, dass sie ein schlechtes Drehbuch nicht großartig machen können.

Der Film berührt die Zuschauer auf vielen Ebenen, weil er eine universelle Geschichte über Identität erzählt. Wie wichtig ist die Suche nach der Identität in der heutigen Gesellschaft und auch in Bezug auf „The Bikeriders“?


Ich denke, die Suche nach der Identität ist wahrscheinlich die leitende Kraft, die derzeit in der Gesellschaft vorherrscht. Zum Teil liegt es an den sozialen Medien, weil jeder berühmt sein möchte. Jeder möchte die Wahrheit sagen, auch wenn es nicht die Wahrheit ist. Jeder möchte einzigartig sein, weil jeder einen Sinn im Leben haben möchte. Ich meine, wir müssen morgens aufstehen. Warum sollten wir einen Fuß vor den anderen setzen? Und gerade weil wir in unserer Identität einzigartig sind, sei es durch unser Geschlecht, unsere Rasse, unsere sexuelle Orientierung, was auch immer, entscheiden wir uns dafür noch einzigartiger zu sein. Je einzigartiger wir sind, desto mehr Sinn haben wir im Leben. Doch, weil wir Menschen sind, fühlen wir uns zu Gruppen hingezogen. Und je einzigartiger diese Gruppe ist, desto einzigartiger wird möglicherweise unsere Identität sein. Wir fühlen uns aber auch zu gefährlichen Dingen hingezogen. Das liegt in der Natur des Menschen, denn wenn wir uns mit Dingen identifizieren, die uns töten können, macht uns das lebendiger und es macht diese Identität deutlicher und spezifischer. Wenn Sie sich ein Motorrad ansehen, gibt es zum Beispiel eine gewisse Spannung daran. Es ist wunderschön. Man will aufsteigen, man will damit fahren, es steht für Freiheit und es kann dich in einer Minute töten. Sofort. Wenn man also dabei ist, ist man lebendiger und vernetzter. Vielleicht fühlen sich die Leute deshalb zu diesen Gruppen hingezogen, und das könnte äußerst positiv sein. Es kann eine mächtige Sache sein, aber auch eine sehr gefährliche. Und ich denke, bei The Bikeriders geht es um beides.

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Vielen Dank, Jeff Nichols für dieses inspirierende Interview!

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