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"Gomorrha" - Unsere Kritik zur ersten Staffel der grandiosen Serie
Von Stu in "Gomorrha" - Staffel 1 - Kritik
am Montag, 28 September 2015, 15:54 Uhr
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Wenn wir Begriffe wie Neapel und Mafia hören, denken wir sofort und wie automatisiert an ein sonniges Italien sowie reiche, ältere Männer in feinen Anzügen, die im Hinterzimmer ihrer prunkvollen Landvilla ominöse Geschäfte machen. Doch mit diesem Produkt von Jahrzehnte alten Klischees hat „Gomorrha“ nichts zu tun. Die Serie ist daran interessiert die Wirklichkeit abzubilden und das bedeutet, dass die Mafiosos in dicken SUVs und meist gekleideten in legeren Klamotten durch die Stadtschluchten von Neapel fahren, die wiederrum nur dann wirklich romantisch wirken, wenn man selbst ein Faible für bröckeligen Beton und Trostlosigkeit hat. Das Neapel der Gegenwart riecht nicht nach Pasta und Amore, sondern nach Tristesse, zersplitterten Glas und Dreck.
Die Welt die „Gomorrha“ zeigt hat also wenig mit Mafiaromantik zu tun, sondern mehr mit der puren Wirklichkeit. Die Serie basiert auf dem gleichnamigen Enthüllungsbuch des Journalisten Roberto Saviano, der seit der Veröffentlichung des Bestsellers ganz oben auf der Todesliste der Camorra (so nennt sich die Mafia in Neapel) steht und tagtäglich professionellen Personenschutz benötigt. Das Buch wurde bereits 2008 von Regisseur Matteo Garrone („Die Märchen der Märchen“) grandios verfilmt. Doch nun im Format einer Serie erhält „Gomorrha“ wesentlich mehr Tiefe. Die zwölf Episoden der ersten Staffel strotzen nur so vor facettenreichen Figuren und Verwicklungen. Gemeinsam ergibt sich daraus ein ungemein fesselndes wie aber auch höchst pessimistisches Seherlebnis. „Gomorrha“ ist eben keine Zuckerguss-Serie die ihrer Zuschauerschaft das System, welches hier offengelegt wird, in appetitlichen Häppchen serviert. Die Serie erfordert vom Publikum Aufmerksamkeit.
Kein Wunder also, dass die Serie bislang mit „The Wire“, der fulminanten HBO-Serie von David Simon, verglichen wird. Und Tatsächlich passt der Vergleich. Beide Serien legen ein System offen, verwenden rigoros Graustufen in den Figurenzeichnungen und sind daran interessiert eine so authentische wie auch realistisches Bild der gezeigten Umwelt abzugeben. Das mag trocken klingen, erweist sich aber als so packend und intensiv, dass es einem mehr als einmal die Sprache verschlägt, vor allem wenn man als Zuschauer die Regeln des Systems zu verstehen beginnt und einem klar wird, dass „Gomorrha“ vielleicht innerhalb eines abgesteckten, kriminellen Rahmens agiert, dieser jedoch im ach so politisch korrekten Europa beheimatet ist und darüber hinaus auch ein erschreckendes Spiegelbild des heutigen Kapitalismus wiedergibt. „Gomorrha“ zeigt einen ausgegliederten Mikrokosmos, der auch das moderne Gesellschaftssystem reflektiert, in dem wir aktuell leben.
Dazu erweist sich „Gomorrha“ als absolut gnadenlos. Damit ist nicht die physische, sondern mehr die psychologische Gewalt gemeint. Die präsentierte Welt ist gesäumt von Ausweglosigkeit, Redundant und Grausamkeit, so dass man als Zuschauer gerne jeden positiven Charakterzug wie einen mütterlichen Rockzipfel ergreift. Etwas Gutes, etwas Reines muss es doch geben? Doch spätestens dann wenn „Gomorrha“ auf äußerst radikale Weise klar macht, dass hier keine Helden, sondern nur Opfer und Täter gibt, bleibt einem nichts anderes übrig als erschrocken loszulassen. Eine harte Lektion, die auf wahren Ereignissen und Figuren beruht. Harter Tobak, stark umgesetzt.
Die Blu-ray: Die erste Staffel (eine zweite ist geplant) erscheint in Deutschland über Polyband (im Handel erhältlich) und es gibt wahrlich keinen Grund zur Klage. Bild und Ton sind absolut zufriedenstellend und wo andere Serie in Sachen Bonusmaterial versagen, bietet „Gomorrha“ gleich eine ganze Blu-ray-Disc mit diversen Featurettes, die die Dreharbeiten sowie auch die Recherchearbeiten von Autor Saviano thematisieren. Da kann man nur sagen, dass diese Heimkino-Veröffentlichung ein Angebot ist, welches man nicht abschlagen kann, bzw. sollte.
Fazit: Die italienische Serie „Gomorrha“ gehört zweifelsohne zum Besten, was es dieses Jahr an Serien ins deutsche Heimkino schaffte: Packend, brutal ehrlich, weitreichend und toll gefilmt sowie ausgestattet mit einer ungeheureren Relevanz. Anspruchsvolle TV-Kost, die viele (sogar die meisten) ihrer vornehmlich amerikanischen Konkurrenten in den Schatten stellt.
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