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Jahresrückblick 2024 - Lidanoir

siBBe

Von siBBe in Der große Jahresrückblick der MB-Redaktion 2024

Jahresrückblick 2024 - Lidanoir Bildnachweis: © Sony Pictures

MEINE TOP 10 FILME 2024

1. Seed of the Sacred Fig
Familien-Parabel über Fundamentalismus 

2. Dahomey 
Königreich der Kunst im Schatten des Kolonialismus 

3. I Saw the TV Glow
Serielles Seelenfenster 

4. Daughters 
Hoffnungsschimmer im gesellschaftlichen Gefängnis 

5. New Dawn Fades
Panorama einer pathologisierte Perspektive 

6. Des Teufels Bad 
Kindermord aus Kirchenmoral

7. Sugarcane
Verscharrte Verbrechen

8. Power
The left newspapers might whine a bit/ 
But the guys at the station, they don't give a shit/ Dispatch call: "Are you doin‘ something wicked?"/ "No siree, Jack, we're just givin' tickets!"

9. Wild Diamond
Körperkapital im klassistischen Käfig

10. Anora 
Wunschtraum mit herbem Erwachen 

MEINE 5 ENTTÄUSCHENDSTEN FILME 2024:

1. Nosferatu
Wie oft war dieser Film auf meiner Most Wanted Liste des Moviebreak-Jahresrückblicks? Und dann das. Greller Gore statt subtiler Schauer, Knallchargieren, Altherren-Sexphantasien, Biedermeier-Moralismus (ausgerechnet, obwohl ihn Murnaus Original so geschickt unterminierte) und Willem Dafoe sagt "Meine Herren!". 

2. The Substance
Ein auffällig ähnlicher Fall wie The Last Showgirl. Demi Moore und Margaret Qualley sind exzellent als Facetten einer alternden Star-Schauspielerin, die der Druck eines sexistischen Business buchstäblich zerreißt: in zwei Körper und Charaktere, die einander zunehmend feindselig gegenüberstehen. Gespickt mit Elementen von The Picture of Dorian Gray und Dr. Jekyll and Mr. Hyde und gerahmt durch expressives Set-Design  hat Coralie Fargeats Horror-Satire alles Potenzial zu einer schneidenden Kritik eines sexistischen Systems, dessen chauvinistische Heuchelei und destruktive Doppelmoral sie bestätigt. Die Inszenierung ist randvoll mit misogynen Botschaften, bigottem Moralisieren und chauvinistischer Verlogenheit. Alte, kranke Körper werden als groteskes Spektakel vorgeführt. Gleichzeitig wird kosmetische und invasive Modifikation des eigenen Äußeren als Eitelkeit und charakterliche Verworfenheit verhöhnt. Es ist der Gestus eines Klatschmagazins, das weiblichen Prominenten hämisch alle vermeintlichen physischen Makel vorhält (und selbige in Großaufnahme abdruckt), nur um sie anzufeinden, wenn der Verdacht entsteht, sie hätten sich operativ verändert. Es ist das zutiefst intolerante Ideal - eines das nicht zufällig oft mit Transfeindlichkeit, Klassismus und Ableismus einhergeht - einer "natürlichen Schönheit" und die praktisch ausschlieließlich Frauen aufgedrängte Aufforderung, sie sollten "in Würde altern". 

3. Queer
Es gibt gute Gründe, dass William Burroughs gleichnamige Novelle jahrzehntelang keinen Verlag fand, nie adaptiert wurde und bis heute vergleichsweise obskur blieb. Luca Guadagnino ignorierte sie alle. Solch inspirierte Irrationalität kann Meisterwerke schaffen - oder pseudo-philosophische Platitüden wie dieses Herzensprojekt. Das wirkt über lange Strecken wie die heimliche Wichsvorlage (siehe auch Challengers) eines Typen, der gerade sein inneres Coming out hat. Womöglich war das Buch das seinerzeit für den Regisseur. Macht den Film (und die Vorlage) leider nicht besser. 

4. The Last Showgirl 
Pamela Anderson lebt regelrecht in der Rolle einer gealterten Revue-Darstellerin, der das Aus ihrer Showtruppe den letzten Rest eines gescheiterten Traums nimmt. Großartiges Schauspiel von ihr, Brenda Song und Jamie Lee Curtis trägt Gia Coppolas distanziertes Drama, das nicht schlecht ist, aber viel mehr hätte sein können. 

5. The Shrouds
Wie die übrigen Filme dieser Aufzählung ist David Cronenbergs intimer Nekrolog nicht misslungen, realisiert aber nur einen Bruchteil seines Potenzials. Das liegt wohl auch am handlungszentralen Tabu-Thema Nekrophilie (hier konkret romantischer und fetischistischer Nekrophilie), mit dem sich die Inszenierung einfühlsam und ernsthaft ohne reißerischen Voyeurismus auseinanderzusetzen versucht. Bezeichnenderweise störte diese Auseinandersetzung offenbar viele Filmkritiker*innen mehr als die dramaturgischen und strukturellen Schwächen. Trotz jener ist der melancholische Totentanz ein essenzielles Werk im Oeuvre des Regisseurs, der hier nicht zum ersten Mal komplexe Kontroversen anstößt. 

MEINE 10 MOST WANTED FILME 2025

The People Under the Stairs
The Monkey 
The Bride 
Mickey 17
Him
The Running Man
Bugonia
Wolf Man
Life After
Snow White

MEIN SERIENJAHR 2024:
Wie erwartet war Serien gucken auch dieses Jahr kein prominenter Punkt auf meiner To-Do-Liste. Dabei sei immer wieder betont, dass ich echt nichts gegen Serien habe. Mir fehlt einfach der Elan, dranzubleiben, die Neugier, die Zeit und Muße ... Somit habe ich nur zwei Serien überhaupt gesehen, beide im Akkord in Venedig. Disclaimer ist einfach der übliche pseudo-feministische, verkappt misogyne Mist. Aber solide inszeniert, gut gespielt, spannungsfrei, doch ausreichend abwesecluchngsreich für die überschaubaren sieben Folgen. Und dann war da M. - Son of the Century. Dass die für die Festival-Premiere zum monumentalen Zweiteiler zusammengeballte Chronik des Aufstiegs Benito Mussolinis statt gegenwartskritischer Reflexion abstoßender selbstherrlicher Persönlichkeitskults ist, mag angesichts der politischen Entwicklungen des zurückliegenden Jahres nicht überraschen. Anders die begeisterte Reaktion des (teils Presse)-Publikums auf einem Festival, auf dem der faschistische Geist nicht nur architektonisch beklemmend präsent ist, sondern in der Biennale-Leitung in Gestalt der direkten Nachfolger Mussolinis Partei politisch vertreten. Momente wie dieser verdeutlichen verstörend, dass Filmproduktionen und deren Erfolg Barometer sozialpolitischer Tendenzen sind - womöglich präziser und prognostischer als durch Bias oder Befangenheit verzerrte Umfragen. 

BESONDERE ERWÄHNUNGEN:

Queer Representation: The Good, the Bad and the WTF!?

Good: I Saw the TV Glow - Vielschichtige Parabel für systemische, soziale und psychologische Unterdrückung, voller Neon-Akzente und bittersüßer Nostalgie. 

All Shall Be Well - Bedrückender und berührender Blick auf Japans ältere Generation und die gesetzlichen Gefälle, die sich für queere Menschen durch den Tod der*des Partner*in unvermittelt auftun. 

Love Lies Bleeding - Surreal, sardonisch, spannend, stylish: Rose Glass' schillernde Crime Romance liefert mit ihren komplexen, kantigen (Anti-)Heldinnen eine lebensnahe Repräsentation, die auf der Leinwand immer noch viel zu selten zu sehen ist. Letztes liegt zum einen daran, dass unverändert straighte Perspektiven  - sowohl filmschöpferisch als auch kommerziell - die filmische Darstellung von lgbtqia+ Figuren bestimmen. Die mörderische Love Story führt exemplarisch vor, wie essenziell die Mitwirkung queerer Künstler*innen ist, und dass sie einem Mainstream-Erfolg nicht im Wege steht. 

Lobende Erwähnung: Wicked - Brachte die bigotten "Familienwerte"Fanatikerinnen  von One Millionen Moms auf die Palme mit "cross dressing", "men crushing on men", "pushing wokeness" und ... Zauberei und Hexerei. Offenbar fürchtet die hassverbreitende Organisation, ein harmloses Fantasy-Musical würde aus christlichen Kids gottlos gekleidete, sich sexuell frei entfaltende, äh, Magiere machen. Dieser subversive Satanismus muss gewürdigt werden!

Noch eine lobende Erwähnung: Gender Reveal - Dass Mo Mattons Kurz-Komödie dem Horror-Genre angehört, verrät schon der Name. Wenige Dinge sind angsteinflößender als das sich in Stereotypisierung suhlende öffentliche Verkünden der eigenen Allianz mit einem reduktiven Gender-Konzept. Falls jemand glaubt, die spaßige Splatter-Orgie sei etwas übertrieben: Gender Reveal Partys haben Gewässer verseucht, Autos in Brand gesteckt, Wälder abgefackelt, Menschen mit "versehentlich" gebauten Rohrbomben getötet, noch mehr Menschen mit Flugzeugabstürzen getötet und jemand hat es geschafft, sich mit einer antiquarischen Kanone selbst in die Luft zu jagen. Wenn überhaupt ist das filmische Szenario untertrieben. 

Bad: Motel Destino - Der Antagonist in Karim Aïnouz' neon-beleuchteten Erotik-Thrillers ist ein typisches Beispiel des Tropes des "perversen Bisexuellen", dessen queere Begierde die Hetero-Liaison (und die Leben) des Protagonisten-Paares bedroht. Bei mindestens drei weiteren queeren Schurkenfiguren in der hitzigen Story fällt es schwer, dieses feindselige Klischee nicht als Absicht auszulegen. 

Worse: Drive-Away Dolls - Tricia Cookes Erklärung für dieses peinliche Surrogat, das sich statt authentischer queerer Filme in den Kinos breitmachte, war, dass sie "schon immer mal einen queeren Film drehen" wollte. Dieser Satz sagt eigentlich schon alles über Exotisierung, Appropriation, Straightification und das Ausspielen straighter Privilegien. 

Worst: Emilia Perez - Über Jacques Audiards Mob-Musical, das so ziemlich jedes Negativ-Klischee über trans Menschen zementierte - selbst die bis vor Kurzem im seit dem 1. November endlich abgeschafften Transsexuellengesetzt verbreitete Unterstellung, trans Menschen würden sich mit einer Transition einer kriminellen Vergangenheit entziehen wollen - kann man fast das gleiche sagen. Straighte Storys straighter Filmschaffender, die mittels der Besetzung vereinzelter queerer Menschen ihre straighte Perspektive amplifizieren, sind eine kümmerliche Entschuldigung für die Unterrepräsentation authentischer queerer Stimmen. 

WTF: Challengers -  Geht sonst noch wem auf die Nerven, dass so ziemlich jeder von Luca Guadgninos Filmen (außgenommen Suspiria,  nicht zuletzt deshalb sein bester) wie eine Wichsvorlage rüberkommt? I mean, es gibt Rankings der "geilsten Food-Szenen" in seinem Sportdrama! Ein Moviebreak-Kollege berichtete, dass sogar ein ultra-christlich-biederer Kinogast aus seiner Bubble die Metaphorik der Churro-Szene verstand. Wenn das kein Indiz dafür ist, dass man von "zweideutig" zu "Holzhammer" übrgegangenen ist, was dann? Egal wie viele Rezepte für "slutty brownies" und "sinful gooey caramel slices" Instagram verstopfen, Essen ist nicht sexy. Und diese Kombination von Prüderie und plakativer Porno-Perspektive verdammt weird. 

The Colors Within - Naoko Yamadas sensible Selbstfindungs-Story hatte alles Potenzial, hier in der "Good"-Kategorie zu landen. Die Fantasy-Elemente der Geschichte einer jungen christlichen Internatsschülerin, die fasziniert ist von der Farb-Aura einer Schulkameradin, sind eine universell zugängliche, kreative Metapher für schwer zu artikulierende Gefühle.  Doch die verträumte Adaption des gleichnamigen Mangas macht nichts aus diesem Motiv und ignoriert schlicht den Crush ihrer jugendlichen Protagonistin für deren Mitschülerin. Ob die Schwärmerei romantisch, queer-platonisch oder erotisch ist, wird ebenso wenig ausgearbeitet wie der unvermeidliche Konflikt mit dem christlichen Klerikalismus der Hauptfigur. Das ist nicht Zurückhaltung, das sind Feigheit und Verklemmtheit. 

Die Inside Out 2 Kontroverse - Habt ihr gemerkt wie ultra gay Inside Out 2 war? Nein? Ich auch nicht. Das war anscheinend harte Arbeit, denn Disney gab dem Animationsteam der hochgelobten Fortsetzung angeblich gezielte Anweisungen, Hauptfigur Riley "less gay"  zu machen. Dabei wurde laut der Mitarbeitenden jede Menge Extra-Arbeit darin investiert, eine romantische Interpretation Rileys Bewunderung für ihre ältere Mitschülerin Val um jeden Preis auszuschließen. Die winzigen Fortschritte, die Disney in den letzten Jahren in Sachen Repräsentation gemacht zu haben schien, wirken vor diesem Hintergrund wie wohlkalkulierte Augenwischerei. 

FAZIT:
Das filmische Jahr war wie so oft - oder immer? - ein Spiegel des politischen Jahres, in dem winzige Fortschritte gegen enorme Rückschläge standen. Eine beachtliche Zahl exzellenter politisch und gesellschaftlich hochrelevanter Dokus (No Other Land, Separated, Union) warfen Schlaglichter auf eine Welt, die Faschisten und Polemiker der Vergangenheit filmisch verklärt (M, Reagan) und real rehabilitiert. Die unterdrückte Minderheiten dämonisiert und nicht nur fiktiv beseitigen möchte. Sei es aus öffentlichen Toiletten - warum sind Republikaner besessen von Toiletten, warum? - Sport oder Animationsserienen wie Win or Lose.  Die Pixar-Produktion über eine buntgemischte (aber nicht zu bunt, mit der Buntheit nur nicht übertreiben! Erst wird hier alles bunt und was dann?! Anarchie!!!) Kinder-Sportmannschaft auf dem Weg in die Oberliga ist ein besonders trauriges Beispiel, weil sie direkt symbolisch für das konservative Denkschema wirkt. Ursprünglich gab es in der Story ein trans Kind. Aber diese Figur wurde stillschweigend abgeändert in eine cis straighte Figur. Schon die Existenz einer Gruppe wird als Bedrohung, Zumutung und dramatische Beeinträchtigung des eigenen Status betrachtet. Und passend dazu gibt es Filme, die genau dieses Narrativ vorantreiben und obendrein so tun, als müsste man sich nur zusammensetzen und miteinander reden (Alter weißer Mann). So als hätten unzählige unterdrückte Gruppen nicht forever erklärt, gebeten, zugehört, diskutiert,  appeliert, vermittelt ...  Trotz des erschreckenden Zuspruch, den Neo-Liberale, Neo-Konservative und Neo-Faschisten allerorts bekommen, gab es auch Momente, die zeigen, dass Solidarität der Privilegierten mehr sein kann als ein Profilbild-Hintergrund. Wie der Moment, als Sean Baker die Goldene Palme in Cannes allen Sexworkern widmete. Oder als der UnitedHealthecare CEO unfreiwillig darin involviert wurde, der kollektiven Wut auf ein menschenverachtendens - genauer: die unteren Gesellschaftsklassen verachtendes - Gesundheitssystem Ausdruck zu geben. Und falls jemand fragt, was das noch mit Film zu tu hat: Das wird bestimmt einer. 

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