Bildnachweis: © Universal Pictures

Der große Jahresrückblick der MB-Redaktion 2024

von Sebastian Stumbek

TOP 10 FILME 2024

1. Der wilde Roboter

DreamWorks besteigt den Thron mit einem Animationsfilm der aller ersten Güte. Lilo & Stitch-Regisseur Chris Sanders beweist ein tolles Gespür für kleine Gesten und große überwältigende Motive, was sich ebenso im epischen Score von Kris Bowers widerspiegelt. Überraschend und gut ist der schwarze Humor, der im täglich knallharten Naturkreislauf zu Tage tritt. Mit dem Protagonisten und gestrandeten Roboter Roz würdigt Sanders die „erdrückende Verpflichtung“ in der Mutterschaft und verknüpft damit die Themen Anpassung, Verantwortung und Solidarität – letzteres unter den Tieren und mit der Technologie wohlgemerkt. Das „programmierte“ Rollen-Korsett ist wiederum eine starke Kritik an Geschlechterrollen. Das ist ambitioniert geschrieben, aber es gelingt und ist mit dem malerischen Zeichenstil sowie der Detailtiefe stimmig umgesetzt – ignoriert man die offensichtliche Logiklücke in der aufgelösten Nahrungskette.

Sanders bietet Stoff für Diskussionen, was die künftige Beziehung zwischen Mensch und Künstlicher Intelligenz anbetrifft. Denn er sensibilisiert uns für das Zusammenleben mit Robotern und KI-gestützten Sprachbots. Abseits davon zeigt er in seinem Survival-SciFi-Abenteuer einen lobenswerten, dringenden, aber in der Zeit der Polarisierung von anderen vielleicht belächelten Appell für Empathie und Zusammenhalt.

2. Civil War

Der Bürgerkrieg vor der eigenen Haustür: Kein Film – nein, auch nicht „Joker: Folie à Deux“ – hat das Publikum mehr gespalten als Alex Garlands „Civil War“. Und das liegt schon an dem Vorwurf, dass Garlands vierter Streifen unpolitisch sei und klar sein müsse, wer den Bürgerkrieg in den USA losgetreten hat. Als ob das benötigt wird, wenn es nur noch um das eigene Überleben geht. Eine Gut-und-Böse-Einteilung bedarf es hier keineswegs, damit Opfer als vertretbar oder nicht vertretbar bezeichnet werden können – welch anwidernder Gedanke! In „Civil War“ präsentiert Garland einen faschistischen US-Präsidenten, der für sich die dritte Amtszeit beansprucht, das FBI aufgelöst hat, unliebsame Journalist:innen in Washington, D.C. umnieten lässt und Luftschläge auf die eigene Bevölkerung genehmigt. Er benutzt ein Vokabular, das demjenigen am nächsten kommt, der im Januar vereidigt wird. Das berüchtigte „Project 2025“ könnte ein weiterer Schritt zu solchen Albtraumszenarien sein.

„Krieg ist grausam“ – diese Message steckt in jedem Anti-Kriegsfilm. Dies als Banalität zu werten, entwertet jeglichen Film dieses Genres. Der Satz ist also Bestandteil der visuellen Vehemenz von „Civil War“, genauso wie Garland die journalistisch wichtige Aufgabe von Kriegsfotograf:innen hervorhebt. Er kritisiert jedoch auch deren von Adrenalin getriebener Drang nach dem „Money Shot“. Vier von ihnen begleitet der britische Regisseur, alle befinden sich in unterschiedlichen Phasen ihrer beruflichen Laufbahn. Gerade die Anfängerin Jessie – „a baby brought into a world of pits“ – kommt auf die verdrehte Idee, Morde im Krieg mit einer Analogkamera festzuhalten. Was kommt als nächstes? Foltertonaufnahmen auf Vinyl einritzen? Diese Art der Fotografie ist roh, sie ist sehr heikel, sie ist inhaltlich immer Teil eines Framings und von Verantwortung geprägt. Kirsten Dunsts Figur Lee präsentiert diese Aspekte deutlich.

Jessies Entwicklung hingegen – „hit after hit“, Schuss für Schuss – wird zum abschreckenden Beispiel der steigernden sowie instrumentalisierten Sensationsgier. Was Garland auch noch beeindruckend herausarbeitet, ist das freigesetzte, rechtsextreme, durchgeknallte Gedankengut und damit der Abgrund der Menschheit, der sich im angsteinflößenden Stand-off der Fotograf:innen mit Jesse Plemons' Figur auftut. Man zuckt im Laufe des Road-Movies bei den wirklich lauten Gewehrschüssen im Kinosessel zusammen, ein höllisch gutes Timing eines alles umschreibenden De La Soul-Tracks lässt einen entsetzt zurück. Und das soll „Civil War“ schließlich sein: Entsetzen, schockieren, den „Money Shot“ hinterfragen, den Horror dieser Eskalation aufzeigen. Über Action und heftiges Sounddesign erschafft Garland einen Überdruss zur Gewalt und zum Spektakel.

3. Aqueronte

Aus einer einzigen Überfahrt auf einer Fähre besteht dieser 25-minütige Kurzfilm. Wohin diese Fahrt im Morgennebel jedoch führt, darüber lässt der spanische Regisseur Manuel Muñoz Rivas uns lieber spekulieren. Vielmehr geht es ihm darum, die Menschen auf dem Schiff einzufangen und was ihnen durch den Kopf geht – sie sind an das Fortbewegungsmittel gebunden und befinden sich alle auf der Weiterreise. Während die Kamera nah dran an ihren Gesichtern bleibt, versuchen wir uns in ihr Leben hineinzuversetzen. Wir können mit den Passagier:innen fühlen, ihre Gedankengänge skizzieren oder sie sogar verurteilen – „Aqueronte“ bleibt mit seinen andeutenden Dialogen und Einstellungen erfreulicherweise offen für Interpretationen. Vor allem ist dieser Kurzfilm Visual Storytelling at its finest. Mit beiden Filmelementen hievt Rivas seinen Film auf eine spirituelle Ebene, zwischen Diesseits und Jenseits. Das Ganze erinnert an Hirokazu Kore-edas empfehlenswertes exzellentes Fantasy-Drama „After Life – Nach dem Leben“. Rivas schwelgt in den entschleunigenden Aufnahmen und macht allmählich ernst. Eine einfach gehaltene, faszinierende Reise lässt einen dann vorm Ziel wie ausgewechselt zurück. 

4. Piaffe*

Eine junge Frau muss sich als Geräuschemacherin für einen Medikamenten-Werbespot beweisen und im Laufe der Zeit wächst aus ihrem Steißbein ein Pferdeschwanz – allein bei dieser Kurzfassung dürfte man eine Augenbraue hochziehen. Worüber Ann Oren hier erzählt, ist eigentlich nicht mehr als die Entfaltung von Mensch und Natur. Und dafür vermengt sie jene Pferdemensch-Fantasy mit einem Erotik-Thriller und einem treibenden Techno-Soundtrack. Unter diesen wilden Bedingungen verschmelzt Oren Bild und Musik ganz famos miteinander. Hier wird jede Bewegung der Kamera, jeder Blick und jede Geste der Darsteller:innen sowie jeder Ton voll ausgekostet – das alles mündet in ein atemberaubend gefilmtes Sexual Awakening. „Piaffe“ ist schräg, sexy und von einer bemerkenswerten Selbstverständlichkeit durchzogen.

* Kinostart war der 4. Mai 2023, auf VOD veröffentlicht am 29. Februar 2024

5. Das fantastische Leben des Ibelin

Mehr als bloßes Zocken: Bis zu 20.000 Spielstunden in World of Warcraft (WoW) und 42.000 Seiten, gefüllt mit Chatnachrichten, Tagebuch- und Foreneinträgen – auf Basis dieser großen Zahlen rekonstruiert Benjamin Ree das titelgebende virtuelle Leben vom früh verstorbenen Mats „Ibelin“ Steen. Und das macht der Regisseur nicht nur über Voiceover und typische sprechende Köpfe, sondern vor allem mit nachgestellten animierten Szenen im Zeichenstil von WoW. Ree schlägt eine spannende Big-Data-Brücke von der echten in die virtuelle Welt: Er bekämpft die Vorbehalte von Mats Familie, indem er Gaming zugänglich macht und dessen soziales Potenzial offenbart – nämlich eine Plattform für Abenteuer, Freundschaften, Zweisamkeit und Zusammenhalt. 

Der wegen einer Muskelkrankheit früh auf einen Rollstuhl angewiesene Mats ist ein außergewöhnlicher Protagonist für dieses Thema. Er überträgt sein Leben und seine Träume auf seinen Videospiel-Avatar, wodurch zum Beispiel das Bewegen durch die Welt von World of Warcraft alles andere als banal erscheint. So findet man hier eine eigenartige Mischung aus Kompensation und Selbstverwirklichung vor. Zeitweise wirkt das Ganze unheimlich in Bezug auf den Datenschutz – denn Mats ist im realen und virtuellen Leben ein durchaus gläserner Mensch. In der rührseligen Inszenierung findet der Regisseur dann tatsächlich einen ergreifenden Schlusspunkt, wenn er beide Welten in Gedenken an „Ibelin“ zusammenbringt.

6. Critical Zone

Auf die iranische Zensurbehörde pfeifen und direkte Regimekritik präsentieren – das macht Ali Ahmadzadeh in seinem nächtlichen Road-Movie durch die Hauptstadt Teheran. Diesen Schritt zu gehen und schließlich den Film über die Grenzen des Landes zum Filmfestival in Locarno zu bringen, ist sehr mutig und gebührt großen Respekt. Aber dies gilt auch dem Cast, der mit der anschließenden Flucht aus dem Iran einen hohen Preis gezahlt hat. Unter diesen eingeengten Bedingungen ist die Stimmung im Film ab Minute Eins sofort geladen. Mitunter wird es Glazer-esk in „Critical Zone“, wenn Ahmadzadeh Minikameras versteckt und die Fahrten sich zu einem „Big Brother“ auf Schritt und Tritt wandeln. Das wiederum gibt den Zuschauer:innen die besondere Gelegenheit, ein ungeschöntes Bild der derzeitigen iranischen Gesellschaft zu sehen. Diese ächzt, ist erschöpft, fühlt sich unglücklich und ist frustriert. Nicht zuletzt pulsiert hier der Widerstand der jungen Erwachsenen mit einem nachhallenden „Fuck You“ gegenüber dem Regime auf der Autobahn als Höhepunkt. Über die Episoden steigert sich der hypnotische wie radikale Film zu wortwörtlichen Höhen, während die fiktive Geschichte stets einen dokumentarischen Kern wahrt.

7. The Mother of All Lies

Die marokkanische Regisseurin Asmae El Moudir ergründet in ihrem beeindruckenden autobiografischen Dokumentarfilm das Generationstrauma ihrer Familie durch die Intifada im Jahr 1981 in Casablanca. Über 600 Menschen starben durch das überharte Eingreifen von Polizei und Militär während der im englischen genannten „bread riots“. El Moudir schildert die Erfahrungen ihrer Familienmitglieder vor allem über Miniaturarbeiten, die sich im Keller ihres Vaters befinden. Die Haptik der Figuren und die Texturdetails an dem maßstabsgetreuen nachgebauten Wohnviertel oder Gefängnis harmonieren mit den emotionalen Schilderungen. Wobei Harmonie im filmischen Sinne gemeint ist – zu sehen bekommen die Zuschauer:innen vor allem eine Disharmonie in der Familie El Moudir, ausgehend von der sehr strengen Großmutter. Ihre Meinung sagt sie frei raus, ganz egal, wer vor ihr steht. Asmae El Moudir findet in „The Mother of All Lies“ eine neue Erzählweise, in der sie verdrängte Erinnerungen mit einer Art Puppentheater hervorholt und im wahrsten Sinne des Wortes greifbar macht.

8. Aggro Dr1ft

Jedes Bild in „Aggro Dr1ft“ bewegt sich fernab von unseren Sehgewohnheiten, denn gedreht wurde der Film ausschließlich mit einer Wärmebild-Kamera! Und als wäre das für Harmony Korine noch nicht genug, verstreut er gelegentlich KI-generierte Texturen auf die leuchtenden Figuren in seinem trostlosen, von GTA und Hip-Hop-Musikvideos inspirierten Miami. Hier prallt maximale Farbintensität auf andeutendes Maschinengewebe. Dieses Kino der Energien sieht teils ultrahässlich aus, aber durchgehend einzigartig – und es fällt schwer, die Augen davor zu schließen. Korine präsentiert eine Incel-Albtraum-Welt, in der die Zeit völlig irrelevant geworden ist. Es gibt keine Zuneigung, Frauen werden zu eingesperrten Objekten und abschätzig behandelt.

Gefühlt entlädt sich hier die dunkle Seite des Internets, wenn wie in Terroristenvideos eine Enthauptung ausführlich dargestellt wird. Hier verbirgt sich ein kraftvoller Kommentar auf das verstörende Verbreitungspotenzial solcher Videos in den sozialen Medien. Untermalt werden diese Szene sowie die simple Geschichte permanent von einem fantastischen Soundtrack aus beatlosen Trap- und Vaporwave-Loops. Der Auftragskiller Bo philosophiert derweil über seine völlig verdrehte Work-Life-Balance, während sein Jüngling und von Rapper Travis Scott gespielte Zion die zermürbende Routine ebenjenes Berufs beklagt. Menschen stumpfen ab, wandeln sich in Maschinen, auf Knopfdruck müssen sie funktionieren und Aufgaben erfüllen. Irgendwo in den roten Farben schlägt noch der Rest des Bewusstseins über diesen Zustand. „Aggro Dr1ft“ ist ein provozierendes Filmexperiment, in dem Korine sich am Rand der Menschlichkeit bewegt und die Künstliche Intelligenz endlich mal als ein kreatives Stilmittel nutzt, das Neugier in diese Technologie weckt.

9. Twisters

Einen Dank an den Retter des Eventkinos, Tom Cruise – für Steven Spielberg ist sein im Hintergrund orchestrierter Sommerblockbuster „Twisters“ quasi eine respektvolle Revanche zum Kassenschlager von 2022. Und dieses Midwest-Anthem, wer möchte, ist astrein von Lee Isaac Chung inszeniert und besitzt keine Längen. Der neue Star am Himmel, Glen Powell, sowie Daisy Edgar-Jones bilden ein unterhaltsames Duo, während Industrial Light and Magic wieder tolle Arbeit bei der Umsetzung der visuellen Effekte geleistet hat. Die Power der Tornados brettert über die Leinwand, der Sound scheppert und da ärgert man sich vielleicht doch darüber, die 4DX-Fassung nicht erlebt zu haben. Chung bleibt derweil an den Schicksalen der betroffenen Bewohner hautnah dran. Er prangert die Profitgier an, wenn ein Investor durch eine mit Überbleibsel gesäten Straße schreitet und die zerstörten Wohnflächen günstig aufkaufen möchte. Gleichzeitig ist die Mithilfe der Tornadojäger:innen durch Hilfsgüter nicht außer Acht zu lassen. Ihre Energie für ihre Leidenschaft spiegelt auch ein wenig unsere heimliche Faszination für diese Wetterextreme wider – solange ein Display uns von den unglaublichen Kräften trennt.

Und dann bricht der Minari-Regisseur die vierte Wand im intensiven Finale: Keiner im Publikum kann mehr den Klimawandel abstreiten! Diesen gibt es mit der vollen filmischen Kraft frontal ins Gesicht! Dafür umschreibt Drehbuchautor Mark L. Smith den Klimawandel prägnant mit folgendem Satz: „Tornado season got worse.“ Fertig! Und dazu gibt es ebenfalls zwei ähnlich gelagerte Beispiele aus der jüngeren Zeit: die Hurrikans Helene und Milton. Sie richteten in kurzen Zeitabständen große Verwüstungen mit vielen Verlusten in Florida an, wahrscheinlich begünstigt durch den Anstieg der Wassertemperatur im Atlantik und im Golf von Mexiko über die Jahre. „Twisters“ ist ein geradezu deprimierender Film über den Klimawandel und zeigt zwei Aspekte, die wichtiger sind denn je: Die Unterstützung der Bewohner in den betroffenen Gebieten und die notwendige Entwicklung der Wissenschaft, Tornados und Hurrikans präziser vorhersagen zu können. Denn von Naturphänomen kann nämlich bei ihrer Häufigkeit jetzt schon nicht mehr die Rede sein.

10. Hypnose / Anora

Zwei Beziehungsdramödien mit zwei Frauen, die eine Frage verbindet: Werde ich überhaupt ernst genommen? Da sind zum einen die Start-up-Satire „Hypnose“ von Ernst De Geer und zum anderen das Liebesabenteuer „Anora“ von Sean Baker: In beiden Filmen blicken die Regisseure mit ihren weiblichen Protagonistinnen – Vera, Tochter einer gut vernetzten Unternehmerin sowie die titelgebende Stripperin – auf eine abstoßende, von Vetternwirtschaft geprägte Oberschicht, die rigoros und hinterrücks agiert. Das Selbstbewusstsein und die Aufrichtigkeit stuft jene Schicht als derart gefährlich ein, beide Frauen schockierende Konsequenzen drohen. Letzteres mag in Sean Bakers Gewinnerfilm von Cannes schon von Vornherein für einen klar sein – es ist aber die Wucht der Taten, der Worte und der Abgrenzung, die einen schaudern lässt.

Den schlummernden Klassenunterschied und die Machtverhältnisse präsentieren beide Filmemacher eindrucksvoll, wobei die Hund-Beifuß-Analogie aus „Hypnose“ wunderbar getroffen ist. Dazu fügen sich tadellose Schauspielleistungen von Asta August, Herbert Nordrum und besonders Mikey Madison ein. In „Hypnose“ und „Anora“ gibt es einen klaren Appell: Missbrauche nicht das Vertrauen und täusche keine Aufrichtigkeit vor! Genau das macht der jeweilige männliche, vom Ego gezeichnete Gegenpart: Die Quittung folgt, wie auch ein interessanter Kontrast in der Antwort der Frauen. Beide Filme nutzen Scham als effektives Gegenmittel und bieten Momente zum Lachen, das gerne mal im Halse stecken bleibt – gerade wenn sie auf ihr jeweiliges großartiges Ende zusteuern.

Nebenbei sei gesagt: Wer sich ein Bild von der Kraft der Oberschicht machen möchte, kann den Aufwand der New Yorker Polizei bei der Ermittlungsarbeit und Strafverfolgung zum Mörder von United Healthcare-Geschäftsführer Brian Thompson mitverfolgen. Mindestens genauso interessant ist das mediale Framing des fotogenen Hauptverdächtigen (!) Luigi Mangione, dem zurzeit eine beachtliche Unterstützung der User:innen in den sozialen Netzwerken entgegenkommt.

Nennenswerte Erwähnungen:

Rebel Ridgevon Jeremy Saulnier
Daydreams
von Rachel Lambert
Eureka
von Lisandro Alonso
The Holdovers
von Alexander Payne
The Zone of Interest
von Jonathan Glazer


FLOP 5 ENTTÄUSCHENDSTE FILME 2024

1. Interstella 5555 - The 5tory of the 5ecret 5tar 5ystem

Ein perfektes Beispiel für falsch eingesetzte Künstliche Intelligenz: Das ehemalige Elektronik-Duo Daft Punk brachte am 12. Dezember ihren Musikfilm Interstella 5555 nach 21 Jahren wieder in die Kinos. Aber nicht als bloße Wiederaufführung, sondern in der restaurierten Fassung. Weil aber das Studio Toei Animation das Originalmaterial weggeworfen hat, ist man zum Entschluss gekommen, die KI die Restauration machen zu lassen – eine katastrophale Entscheidung! Die Technologie ist dafür noch lange nicht produktionsreif – gerade für ein Vorhaben, bei der es absoluter Genauigkeit bedarf – Pixel für Pixel, Frame für Frame. Fehlende Qualitätskontrolle führt dazu, dass dieser Streifen wie ein komprimierter Formmatsch aussieht, der mit Anime nur noch im Entferntesten etwas zu tun hat. Der Film begleitet die fiktive Alien-Band The Crescendolls, die zur Erde entführt wird und fortan als willenlose, maschinenartige (!) Musiker:innen den Reibach für einen Label-Manager machen. Ursprünglich gezeichnet von Animatoren, praktisch neu interpretiert von einer Maschine, der Gipfel der Ironie und die größte Enttäuschung des Jahres!

2. Terrifier 3

Nichts ist schlimmer, als wenn ein Horrorfilm Gleichgültigkeit erzeugt. Dreist ist es zudem, wenn man praktisch mit derselben Taktik aus dem Vorgänger die Zuschauer:innen wieder ins Kino bringen möchte. Die Terrifier-Reihe stellt mit Teil Drei mal wieder den brutalsten Film des Jahres – jedoch gedreht von einem Regisseur, der nicht in der Lage ist, kompakte Drehbücher zu schreiben. Zwei Stunden dauert diese plumpe Parallelmontage, 90 oder gar 70 Minuten hätten ausgereicht. Es gibt kein Timing für Pointen, beabsichtigtes Gelächter hat nie im Publikum aufgebrandet. Und weil dieser Film außer aufgespaltene Klöten und aufgerissene Köpfe nichts zu bieten hat, ist das hier pure Zeitverschwendung.

3. Fighter

Herzlich Willkommen im Kaschmir-Gebirge: Ein spannungsgeladenes Gebiet mit territorialen Ansprüchen von China, Pakistan und Indien. Die perfekte Gelegenheit für Siddharth Anand, enttäuschendes Säbelrasseln gegen Pakistan mit finanzieller Unterstützung des indischen Verteidigungsministeriums zu betreiben – mithilfe von ausgebildeten Kampfpiloten. Fighter ist in erster Linie nämlich ein spannungsarmer Top-Gun-Abklatsch, der sich in Indiens von Nationalismus getriebener Blockbuster-Offensive einreiht. Für Anand ist es mindestens der zweite Film dieser Art nach „Pathaan“, bei dem er Shah Rukh Khan mit ins Boot geholt hat. „Fighter“ besitzt bei weitem nicht die akustische Wucht eines „Top Gun: Maverick“, blickt herabwürdigend auf Frauen und soll das Publikum mit Bollywood-gerechten trainierten Körpern vor die Leinwand locken. Das ist unterm Strich billiges, gefährliches Flexen.

4. Apples Major-Studio-Speedrun Any%

Mindestens 630 Millionen US-Dollar hat Apple für seine Zusammenarbeit mit den Major-Studios in Hollywood hinaus gepfeffert – mit „F1“ ist dann auch Warner Bros. abgehakt. Herausgekommen sind aus diesem Investment höchstens mittelmäßige, vielmehr zähe Hochglanz-Streifen. „Killers of the Flower Moon“ hat in seiner epischen Länge die Opferperspektive der indigenen Osage nicht genügend berücksichtigt, „Argylle“ ist eine überinszenierte Mischung aus „The Lost City“ und „Operation U.N.C.L.E.“ inklusive CGI-Disaster zu Beginn, und „To The Moon“ ist eine zu lange durchgeplante Romcom, die ironischerweise kaum vom Fleck wegkommt. Vor „Wolfs“ hat der Tech-Konzern die Reißleine gezogen, vermutlich im Angesicht der miserablen Einspielergebnisse. Den Scorcese-Streifen ausgenommen, sind das alles Fernsehfilme, die auf Starpower oder Nostalgie angewiesen sind! Apple hat hier schlichtweg eine miese Filmauswahl für längere Kinoauswertungen getroffen. Man kann nur hoffen, dass Joseph Kosinskis Motorsport-Eventfilm und Guy Ritchies „Fountain of Youth“ die Filmsparte eines für Serien tollen Streamingdienstes aufwerten mögen.

5. The Crow (Remake)

Lionsgate hat ein Jahr zum Vergessen hinter sich, das Remake von The Crow ist dabei exemplarisch. In allen Belangen ein bemühter Film mit einem von Bill Skarsgård inkompetenten Antihelden, FKA Twigs‘ Einstand auf der Leinwand ist total misslungen. Hier erzählt Regisseur Rupert Sanders eine hohle Lovestory mit einem sinngemäßen augenrollenden „If you don’t love me at my worst, you don’t deserve me at my best“ und rattert eine Rache-Action-Fantasy mit unnötig hoher Brutalität runter.


10 MOST WANTED FILME 2025

Mission: Impossible – The Final Reckoning
Predator: Badlands
Baby Invasion
Sing Sing
Flow
F1
Warfare
28 Years Later
The Last Showgirl
The Smashing Machine

MEIN SERIENJAHR 2024

Das Serienjahr war mal wieder überschaubar, so wie im vergangenen Jahr, dennoch habe ich drei Empfehlungen parat: „Dark Matter – Der Zeitenläufer“ mit Joel Edgerton ist der bessere der zwei Ausflüge ins Multiversum auf Apple TV+, „Rentierbaby“ präsentiert eine unglaubliche True-Crime-Eskalationsspirale zwischen Stalking, Trauma und Obsession – von und mit Richard Gadd. Für alle Fans der Netflix-Doku „Das fantastische Leben des Ibelin“ sei die erste Staffel des SciFi-Animes Pantheon wärmstens ans Herz gelegt. Hier geht es ums digitale Nachleben, um einen fortlaufenden Trauerprozess, den Umgang mit Künstlicher Intelligenz als auch um die digitale Verbindung zu einer Person im Home-Office-Zeitalter.


BESONDERE ERWÄHNUNGEN

Der beste Soundtrack des Jahres: Aggro Dr1ft von araabMUZIK

Der Wow-Moment des Jahres: Der Aufbruch der Zugvögel in Der wilde Roboter

Die besten Schauspielleistungen des Jahres (Nachnamen in alphabetischer Reihenfolge):
Asta August
(Hypnose), Kirsten Dunst (Civil War), Hugh Grant (Heretic), Mikey Madison (Anora), Demi Moore (The Substance), Aaron Pierre (Rebel Ridge), Daisy Ridley (Daydreams) und Naomi Scott (Smile 2)


FAZIT UND MEINUNG

Weniger Highlights im Kino hat es in diesem Jahr gegeben, was vielleicht daran liegen mag, dass mehr experimentelle Filme meine Aufmerksamkeit bekommen haben. Aber auch der viermonatige Streik der Writers Guild of America im vergangenen Sommer hat seine Spuren hinterlassen. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz ist darin Teil der Verhandlungen gewesen, deswegen folgt hier ein Standpunkt zu diesem Thema. Drehbücher aus der ChatGPT-Retorte, so lautete der verbreitete Vorwurf im vergangenen Jahr. In diesem Jahr lag das Augenmerk der Kinoliebhaber:innen auf KI-generierte Bilder. User:innen auf Letterboxd empörten sich über drei (!) von einer Software illustrierte Zwischentitel im Horrorfilm „Late Night With The Devil“.

Ehrlich gesagt war der Einsatz der KI dort in den paar Sekunden mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen. Die Filmemacher Cameron und Colin Cairnes spielten in erster Linie mit der KI und nutzten sie als Basis für jene Standbilder – abschließend legte ihr Team nochmal Hand für den Feinschliff an. An dieser Herangehensweise ist erstmal nichts auszusetzen. KI kann als Ideengeber fungieren, Zeit und Kosten in der Planung sparen und bei Produktionen mit niedrigem Budget Abhilfe schaffen. Sei es durch einen Prompt, der die gewünschte Grafik ausspuckt, als eine Hilfe für einen Entwurf oder als unterstützendes Werkzeug bei der Umsetzung einer angefertigten Skizze.

Die Wut auf oder gar ein Boykott gegen die Künstliche Intelligenz begründen die Letterboxd-User:innen damit, dass mit der neuen Technologie Animator:innen und VFX-Artists ihren Job verlieren werden und die Cairnes-Brüder Teil dieses Trends sind. Und ja, diese Befürchtung spiegelt auch eine von Variety und HarrisX erstellte Umfrage in der US-Unterhaltungsbranche zur generativen KI wider: 55 beziehungsweise 50 Prozent gehen davon aus, dass sie einen wesentlichen Einfluss auf ihre Arbeit haben wird. Die großen Studios und Filmemacher:innen können auch die generative KI nutzen. Sie sollten im Gegenzug aber auch verstärkt dessen qualitative Arbeit überprüfen, korrigieren und verbessern. In diese Richtung könnte sich der Aufgabenbereich von Animator:innen beispielsweise entwickeln, ihre Fähigkeiten müssen weiterhin gefragt sein. Wohlgemerkt wäre das eine andere, eventuell geringere Arbeitslast, und es würde den Umbruch in der Filmindustrie nur verlangsamen.

Dass eine Überprüfung nötig ist, zeigen erste Versuche mit KI-gestützten Filmen. Die Gehversuche an sich zu beobachten ist einerseits spannend, andererseits sind die Ergebnisse bis hierhin eher durchwachsen. Die bisher gesehenen Kurzfilme dieser Art sind häufig zu oberflächlich und platt inszeniert. Einige Filmemacher:innen überschätzen sich dabei glatt selbst und setzen zu stark auf jene Technologie. Das liegt auch daran, dass ChatGPT oder Text-zu-Bild-Software Inhalte auf dem bestehenden Fundus im Internet generieren – mit mehr als strittigen Fragen beim Trainieren von KI hinsichtlich des Urheberrechts. Derzeit nützt die Künstliche Intelligenz mehr als Werkzeug für künstlerische wie inhaltliche Akzente, so wie es Harmony Korine in „Aggro Dr1ft“ vormacht. Für die pixelgenaue Präzision bei einer Restauration ist sie allerdings noch nicht bereit.

Es ist deshalb wichtig zu betonen, dass die Produktionsstudios und Filmemacher:innen das letzte Wort bei der Arbeit mit KI in Filmen haben. Erstere bringen die Filme ins Kino oder auf die Streamingdienste für daheim und unterwegs. Die Qualitätskontrolle ist daher unerlässlich, ein Larifari wie das Remaster von „Interstella 5555“ durchzuwinken ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht der Animatoren hinter dem Original. Es ist unfair gegenüber der neuen Technologie, die mit sämtlichen Rechnerkapazitäten bemüht ist, die Bilder aufzubereiten, geschweige denn einen ganzen Streifen. Man würde ja auch nicht auf die Idee kommen, Auszubildenden in ihrem ersten Ausbildungsjahr große Aufträge in die Hand zu drücken. Die KI langsam an die Tätigkeiten heranzuführen sollte daher der nächste Schritt sein. Es ist eine Frage der Dosierung, der langsamen Integration in die Filmproduktion sowie der strengen Bewertung der Arbeit von Maschinen durch Menschen.

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