Erwähnungen
Jahresrückblick 2018 - MrDepad
Von siBBe in Der große Jahresrückblick der MB-Redaktion 2018
am Montag, 31 Dezember 2018, 15:00 Uhr
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DIE TOP 10 FILME 2018:
1. Call Me by Your Name
Kein anderes Werk entfaltete im Kinojahr 2018 eine derart intensive, einnehmende Atmosphäre des leidenschaftlichen Knisterns einer langen Sommerromanze, die niemals enden sollte. Körperliches Begehren und tiefschürfende Blicke erzählen in Call Me by Your Name von einer Liebe zwischen zwei Männern im Norditalien der 80er-Jahre, in dem die hypnotisierende Stimmung zwischen unerfülltem Lustempfinden und euphorischen Bewegungen bis zu dem Moment führt, in dem der Blick ins offene Kaminfeuer Tränen der schmerzlichen Sehnsucht zu Tage befördert. Ein unvergessliches Erlebnis.
2. The Florida Project
Kaum jemand erzählt momentan so empathisch und aufrichtig von den Außenseitern und Randgruppen der Gesellschaft wie der amerikanische Independent-Regisseur Sean Baker. In wunderschönen 35-mm-Filmaufnahmen, die oftmals wie bunte Skittles leuchten, schildert der Filmemacher die heruntergekommenen Motelanlagen am Rande von Disneyworld in Florida voll und ganz durch neugierige, aufgeregte Kinderaugen. Baker umschifft deprimierenden Elendstourismus, indem er Perspektiven bewusst überhöht und in ein magisches Licht unerschöpflicher Lebensfreude hüllt, ohne den Blick für die niederschmetternde Situation seiner Figuren jemals zu vernachlässigen. Die letzten fünf Minuten von The Florida Project waren das emotional erschütterndste, was es in diesem Jahr im Kino zu sehen gab.
3. The House That Jack Built
Lars von Trier, für den das Filmemachen zuletzt aufgrund starker Depressionen und Alkoholabhängigkeit ein kaum zu bewältigender Kraftakt war, setzt mit The House That Jack Built zum brillanten Rundumschlag an, der Matt Dillon als Serienkiller zu einer Karrierebestleistung anspornt. Als Selbstreflexion, Frontalangriff, verzweifelte Introspektion sowie bitterböse-humorvolle Brechung wirkt dieser Film wie das große Vermächtnis eines Regisseurs, der auf dem abschließenden Pfad in die Hölle die bemüht kunstvoll aufgetürmten Leichen seines Schaffens, das den Künstler als Mörder und den Mörder als Künstler verhandelt, über sich zusammenbrechen lässt, da jegliche Form von Liebe keinen Zugang mehr zu ihm finden kann. Es wäre nicht verwunderlich, wenn es sich bei The House That Jack Built womöglich wirklich um von Triers finales Werk handelt.
4. An Elephant Sitting Still
Das 4-stündige Vermächtnis von Regisseur Hu Bo, der sich nach der Fertigstellung dieses Langfilmdebüts mit nur 29 Jahren das Leben nahm. Ebenso hypnotisierend wie niederschmetternd verwendet der Regisseur die meisterhaft geführte Handkamera in diesem Koloss als entfesselten Taktstock, wenn diese den Figuren oftmals über viele Minuten hinweg ohne Schnitte folgt, durch Nahaufnahmen in Gesichtern verweilt, die in ihren zurückgenommenen Ausdrücken oftmals wie erstarrt wirken, und mithilfe von permanenten Unschärfen sowie bewusst eingeschränkten Blickwinkeln auf die verlorene Gesellschaft Nordchinas ein schmerzliches Porträt von Isolation, Einsamkeit, Trauer, Wut und Schmerz zeichnet. Am Ende dieses Films, der einen Tag im Leben von vier Protagonisten beschreibt, wenn die Kamera zum ersten Mal weit entfernt von den Figuren auf Distanz bleibt und sich ein Moment unschuldiger Gemeinschaftlichkeit ausgiebig entfalten darf, ist es das Tröten des Elefanten, das zuletzt alle Sphären des uns Bekannten durchdringt und hoffnungsvoll überwindet.
5. It Comes at Night
Mit It Comes at Night ist Trey Edward Shults die ultimative Form des Horrors gelungen, bei der die Menschheit fernab von wahnsinnigen Serienmördern, Monstern, Geistern oder anderen Manifestierungen des Schreckens verdammt ist, weil sie auf nichts anderes als sich selbst zurückgeworfen wird und nur aufgrund der fehlgeschlagenen Interaktion miteinander in einer Hölle gelandet ist, die sie sich selbst geschaffen hat und in der selbst diejenigen, die man eigentlich liebt, den eigenen Tod herbeiführen können. Das Erwachen in einer albtraumhaften Welt sowie das Abgleiten in Träume, die sich kaum von dieser Realität unterscheiden, vermengt der Regisseur zu einem audiovisuellen Dämmerzustand, der einen ebenso wie die Figuren nicht mehr loslässt.
6. Transit
Transit ist ein Film des Geisterhaften, das aus dem Totenreich in die Welt der Lebenden überstrahlt und einen Zustand zwischen den Flüchtenden der Vergangenheit und Gegenwart erzeugt, die beide im Hier und Jetzt aufeinandertreffen. Das Gefühl der Starre, des Verlorenseins und des Drängens nach Bewegung, wo lediglich Stillstand herrscht, verknüpft Christian Petzold mit gefühlvollen Ankerpunkten, die in der Zwischenmenschlichkeit und Liebe zueinander kurzzeitig wieder Hoffnung schöpfen lassen. Zurück bleibt in Petzolds Meisterwerk zuletzt die Frage, ob es bei einer Trennung der Verlassene oder der Verlassende ist, der länger braucht, um über die zerbrochene Beziehung hinweg zu kommen. Zum Glück gibt es das Kino und Filme wie Transit, die einem diese Frage zwar nicht beantworten können, aber dafür umso eindringlicher näherbringen und noch Stunden nach der Sichtung wie ein flüchtiges Irrlicht in den Gedanken umherkreisen.
7. A Beautiful Day
Als todessehnsüchtiger Todesengel schwirrt Joaquin Phoenix durch diesen Film von Lynne Ramsay, der mit fragmentierten Montagen und den fiebrigen Klängen von Jonny Greenwood ein permanentes Gefühl des Unvollständigen, Zerschossenen hervorruft. Als kunstvoll vertrackter Anti-Thriller, in dem die Regisseurin konventionelle Spannungsmomente und actionlastige Einschübe subversiv aushebelt, hinterlässt A Beautiful Day nichts als Bruchstücke einer gequälten Seele, die wie ein lebender Toter über die Reste ihrer verblichenen Existenz wandelt und dem Leben trotzdem nicht entkommen kann.
8. Der Seidene Faden
Der zweitbeste Liebesfilm des Jahres nach Call Me by Your Name stammt wenig überraschend von Meisterregisseur Paul Thomas Anderson. Der im besten Sinne klassisch erzählte Der Seidene Faden thematisiert dabei das unkontrollierte Ausmaß einer Liebe, die sich auf komplizierte Weise zwischen den beiden Betroffenen hin und her schlängelt wie eine Giftschlange, die nur darauf wartet, das erste Mal verheerend zuzubeißen. Bis zum überraschenden Abschluss bewahrt sich Anderson in seinem Werk den Glauben an eine Liebe aufrecht, die selbst über Umwege, bei denen der Regisseur den toxischen Faktor dieser außergewöhnlichen Liebesgeschichte nur allzu wörtlich nimmt, einen Ausklang findet, der nachhaltig aufrüttelt und mit einer abschließenden Gratwanderung zwischen einfühlsamer Sinnlichkeit und zynischer Boshaftigkeit aufwartet. Über allem liefern sich der große Daniel Day-Lewis, der in diesem Film wohl seine Abschiedsvorstellung als Schauspieler gibt, und Newcomerin Vicky Krieps ein elektrisierendes Duett auf erstaunlicher Augenhöhe.
9. Suspiria
Ein Remake, das theoretisch unmöglich gelingen konnte und doch zu etwas völlig Eigenem, Unglaublichen geworden ist. Luca Guadagnino orientiert sich für seinen Film nur grob an Dario Argentos großem Horror-Klassiker und verlässt sich vielmehr auf die Erfahrung, die der Regisseur damals selbst hatte, als er Suspiria zum ersten Mal sah. Sein Suspiria,der im geteilten Berlin des Jahres 1977 angesiedelt ist, ist der verzerrte (Alb)Traum der Vorlage, in dem die spärlich eingesetzten, sehr brutalen Gewaltmomente auch immer Ausdruck einer physischen Einheit sind, bei der sich Gliedmaßen unter lautesten Schmerzensschreien verbiegen und Knochen auf unansehnlichste Weise gebrochen werden, während ein anderer Körper im gleichen Moment den Takt der schwarzen Magie aufrechtzuerhalten versucht. Mit einem deutlich feministischen Anstrich erzählt Guadagnino zudem von unterschiedlichen Müttern und Töchtern, die sich von den Fesseln eines vererbten Verderbens losreißen wollen, indem Empfindungen wie Schuld und Scham im Angesicht eines vergangenen Traumas akzeptiert werden müssen, um zukünftige Generation vor dem sicheren Untergang bewahren zu können. Dabei wirken selbst die mit Falsett gesungenen Passagen des fantastischen Scores auffällig feminin, wenn sich die Klänge von Radiohead-Sänger sowie Komponist Thom Yorke mit einer vergänglichen Süßlichkeit über die grausamsten Szenen von Suspiria legen, der als verkopfter Kunstfilm, entfesselte Horror-Fantasie, brisante Allegorie, bizarrer Trash und sinnliches Gefühlsbad beinahe sämtliche Reaktionen vom Betrachter abverlangt, die ein Film hervorrufen kann.
Die Stadt der Stars und Sternchen erscheint in Under the Silver Lake als mythenumwobener Schauplatz zwischen Vergangenheit und Gegenwart, in dem jeder noch so kleine Winkel mit Geheimnissen und Mysterien gefüllt ist. Auf den ersten Blick ist David Robert Mitchells Film ein Werk der exzessiv zusammengekleisterten Versatzstücke aus Genres, Stilmitteln, Codes und Verweisen. Unentschieden zwischen klassischem Film noir und glattpoliertem Neo-Noir wirkt Protagonist Sam wie eine Mischung aus Humphrey Bogart, dem Dude und Hank Moody. Apathisch stolpert er durch diesen L.A. Hipster Noir, in dem die Leiche von Joe Gillis in der Nähe des Sunset Boulevard längst aus dem Swimmingpool gefischt wurde, während der Gesang der namenlosen Sängerin aus dem Club Silencio immer noch als dumpfes Echo zu vernehmen ist. In diesem filmischen Zitate-Reigen schickt Mitchell seinen Protagonisten auf eine versponnene Odyssee der falschen Fährten und surrealen Sackgassen mitten in das Herz der Popkultur. Der Mulholland Drive für vergnügungssüchtige, aber gleichzeitig unterhaltungsübersättigte Millenials.
DIE FLOP 5 FILME 2018:
1. Verschwörung
Eine erschreckend misslungene Fortführung von David Finchers großartigem Vorgänger. In Verschwörung verkommt Lisbeth Salander zur nahezu übermenschlichen Superheldin, die sich durch ein beleidigend schlechtes Drehbuch kämpfen muss, in dem abgestandene Thriller-Plotelemente wie aus einem 20 Jahre alten James Bond-Film der späten Brosnan-Ära aufgewärmt werden.
2. Black Mirror - Bandersnatch
Peinlicher, aus Jahrzehnte alten Genre-Versatzstücken und Klischees zusammengestückelter Gimmick-Müll, der den risikofreudigen Zuschauer andauernd zu einem Game Over-Bildschirm führt, um fatale Entscheidungen brav wieder rückgängig machen und wieder in sichereren Bahnen verlaufen zu können. Dass dieser inhaltliche Brei rund um stereotype Programmierer, die sich zwischen Realität und Fantasie im Wahn verlieren, und interaktiven Entscheidungen, bei denen zwischen Kelloggs Frosties und Sugar Pops zum Frühstück entschieden werden darf, momentan als innovative Zukunft des medialen Storytellings angepriesen wird, ist wahrscheinlich die größte Absurdität an diesem schlampigen, offensichtlich übereilt geschriebenen Netflix-Murks.
3. Mute
Einer dieser Filme, bei denen von vorne bis hinten rein gar nichts stimmt. Als leblose Reproduktion eines neondurchfluteten, dystopischen Settings wie aus Blade Runner ist Mute ein katastrophal geschriebener Science-Fiction-Thriller, der einen narkotisierten Alexander Skarsgård durch ein futuristisch gedachtes Berlin schickt, das sich von der gegenwärtigen deutschen Hauptstadt kaum unterscheidet und nichts als wirre Drehbuchsackgassen offenbart.
4. Auslöschung
Was als visionärer Science-Fiction-Film angepriesen wurde, der zu komplex für das Massenpublikum wäre und deshalb direkt ohne Kinoauswertung bei Netflix landete, entpuppt sich als plumper Hybrid aus einem formelhaften B-Movie-Gerüst und unterentwickelten Figuren sowie bemüht tiefgründigen Ansätzen, die inmitten der scheußlichen Effekte wie aus einem Videospiel untergehen. Auslöschung ist nichts weiter als die unterkomplexe Schmalspurversion seiner großen Vorbilder wie Alien, 2001: Odyssee im Weltraum oder Stalker.
Ethan Hawke ist der einzige Lichtblick in Paul Schraders Drama, das den Glaubenskonflikt eines Priesters mit einem Füllhorn an komplexen Themen anreichert, die lediglich oberflächlich angerissen und mit platter Symbolik und prätentiösen Dialogen versehen werden. Am Rand zur Selbstparodie, wenn Hawke und Amanda Seyfried über einen Greenscreen-Wasserfall schweben, ist dieser in grässlicher Digital-Optik gefilmte Streifen eine weitere misslungene Enttäuschung im überaus durchwachsenen Spätwerk des Regisseurs.
GEHEIMTIPPS aus dem Jahr 2018:
Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot, The Rider, In den Gängen, Lucky
10 MOST WANTED FILME 2019:
The Death and Life of John F. Donovan
MEIN SERIENJAHR 2018:
Mit Atlanta, Jerks, Maniac und 4 Blocks habe ich dieses Jahr nicht einmal eine Handvoll Serienstaffeln geschaut und die Hälfte davon war auch noch enttäuschend. Ich bereue nichts.
FAZIT:
2018 war für mich aus persönlichen Gründen das beste Jahr seit langer Zeit. Dieser Umstand spiegelte sich glücklicherweise auch in einem Filmjahr wieder, das vor vielen Höhepunkten förmlich platzte. Mit Leichtigkeit könnte ich statt einer Top 10 auch eine Top 30 machen. Auf ein hoffentlich genauso großartiges 2019!
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