Bildnachweis: @ Peppermint

Der große Jahresrückblick der MB-Redaktion 2018

von Sebastian Stumbek

DIE TOP 10 FILME 2018:

1. Shoplifters
Manchmal lohnt es sich doch, wenn man eine Sneak-Preview besucht, weil die Kommilitonin, die am Ticketschalter arbeitet mir versprach, dass "Mandy" laufen wird (immer noch nicht gesehen, btw) und man dann nicht enttäuscht den Saal verlässt, wenn entgegen aller Versprechungen ein japanisches Familiendrama läuft. Zum Glück bin ich geblieben. "Shoplifters" von Hirokazu Kore-eda ist lebensbejahend, empathisch und so voller Liebe, dass die deprimierende Prämisse—eine Familie versucht sich mit kleinen Diebstählen über Wasser zu halten—kaum ins Gewicht fällt ... bis sie es dann doch tut. "Shoplifters" überzeugt mit einer nahen Wärme, wirkt dabei wie ein Stückchen Realität, frisch aus dem echten Leben gepflückt und erzählt seine Geschichte mit solch einer nuancierten Geduld, dass man die eigene emotionale Reaktion am Ende kaum kommen sieht. Mit "Shoplifters" fügt Regisseur Hirokazu Kore-eda eine weitere Perle des Humanismus in seine beachtliche Filmographie.

2. Lady Bird
Ich bin so gespannt, welche Charme-Perlen uns Greta Gerwig in der Zukunft noch servieren wird. Was in ihrer Drehbucharbeit schon klar war, explodiert in ihrem Regiedebut "Lady Bird" geradezu durch die Leinwand. Mit ihrem Auge fürs Detail und ihrem Instinkt für Ehrlichkeit könnte sie sich jetzt schon mit den großen Regisseur-Maestros messen und würde sie mit einer Wärme ausstechen, die man sonst nur zu selten sieht. Plot und Charaktere sind natürlich wichtig, Geschichten sind jedoch ein höchst emotionales Konstrukt, das tief in unserer DNA verwurzelt ist. Eine gute Geschichte muss keinen Sinn machen, sie muss den Zuschauer nur berühren und besser als jeder andere Regisseur,  könnte man meinen, scheint Greta Gerwig zu wissen, wie man das Schloss zum Herzen des Publikums mit einer verspielt-nostalgischen Intimität knackt. The love is in the details.

3. Shape of Water
Auf wie vielen Ebenen kann ein Film bitteschön funktionieren? "Shape of Water" ist ein Cold-War-Film, es ist ein Liebesfilm, ein Science-Fiction-Film, auf eine seltsame Art und Weise ist es ein Coming-of-Age-Film, ein Heist-Film, mit Außenseitern (taub, schwul, schwarz, fisch) in den Hauptrollen, gleichzeitig ist eine liebevoll-romantisierende Hommage an das Kino der 50er, ohne zu einer Imagekampagne zu verkommen. So viel könnte man sagen über "Shape of Water", über Doug Jones—dem Andy Serkis des Rubber-Suit-Actings. Oder darüber was für eine Offenbarung Sally Hawkins war und wie erstaunlich es ist, dass sie solch eine scheue Zartheit mit einer resoluten Stärke und Sexualität kombiniert, wobei letzterem eine natürliche Selbstverständlichkeit spendiert (auch schüchterne Frauen sind sexuelle Wesen, who knew?), die ihrem Charakter so viel Tiefgang verleiht ... und all dies ohne sprechen zu können. Man könnte darüber sprechen, wie genial die Sets sind oder man könnte in den Morgen hinein rätseln, wie dieser Film nur 20 Millionen gekostet haben soll. Stattdessen belasse ich es dabei und bin einfach dankbar, dass es einen Filmemacher wie Guillermo Del Toro gibt, der das Leuchten in seinen Augen noch nicht verloren hat.

4. Call Me By Your Name

I release my body and there is no ghost of you inside my mind
I am moving on and thank God you let me try
You are the reason I can dance
Within the fire of goodbyes, of goodbyes
I can lie in the dark room without the feeling that I’m lonely
Oh, it’s the beauty of forgotten love
 

5. Spider-Man Into The Spider-Verse
Ich hatte irgendwie immer Schwierigkeiten Sam Raimis Trilogie loszulassen, was den Spinnenmann angeht. Ich kann zugeben, dass Tom Holland ein viel besserer Spider-Man ist, aber "Spider-Man 2" ist einer der besten Superheldenfilme ever. Tja, dieser kleine Animationsstreifen ist nicht nur der bis dato beste Spider-Man-Film, sondern präsentiert mit Miles Morales den bis dato glaubwürdigsten, sympathischsten, nachvollziehbarsten, kurz: besten Spider-Man. Einer dieser Filme, die man in einem Drehbuchseminar analysieren könnte, so klar und eindeutig ist alles da platziert, wo es (angeblich) hingehört und funktioniert trotz (oder gerade wegen?) dieser klassischen Struktur hervorragend. "Into The Spider-Verse" ist ein charakterorientiertes Coming-of-Age-Animationsabenteuer mit einer herrlich-schrägen Idee, die sein Potenzial völlig ausschöpft.

6. Your Name
Zwei Jahre nach Release durften wir in Deutschland dann auch mal sehen, was dieser Hype eigentlich sollte. Nur zwei Tage lief der Film im Kino. Man muss sich echt fragen, wer diese Entscheidungen trifft. Der Film ist ja nur der erfolgreichste Film der japanischen Kino-Geschichte. Aber ist ja Anime, Gott behüte lassen wir diesen kindischen Nischenquatsch für länger als eine halbe Woche in die Kinos. So 'n Hals, krieg ich bei sowas! *seufz* Egal. "Your Name" ist gut. Richtig gut. Believe the hype, und so. Inhaltlich doch sehr verschachtelt und wenn man Jagd auf Plotholes machen möchte, wird man schnell fündig werden. Auf einer emotionalen Ebene baut sich "Your Name" so gnadenlos steil auf, dass man am Ende diesem Film den Katharsis-Award geben möchte. Und wie kreativ kann man bitte sein mit einer Prämisse? Die ersten zwanzig Minuten sind das, was man von einer Bodyswap-Teenie-Romcom erwartet, ehe nach dem ersten Akt aus "Freaky Friday" plötzlich "Melancholia" wird und jegliche Genre-Konventionen in die Tonne gekloppt werden. Und ja, es ist so geil und verrückt, wie es klingt. Und weil ich nie eine Chance verpasse auf "Interstellar" zu scheißen: Fucking SO! erzählt man eine "Love beats time and space"-Geschichte.

7. Mary und die Blume der Hexen
Studio Ghibli is dead, long live Studio Ghibli. Naja, nicht ganz. Miyazaki brach ja seinen "Diesmal-Aber-Meine-Ich-Es-Wirklich-Ernst"-Ruhestand ab—schon wieder. Bevor seine Rückkehr von seinem Rücktritt aber feststand und Studio Ghibli eine Zeit lang allem Anschein nach jegliches kreative Schaffen eingestellt hatte, taten sich einige Mitarbeiter zusammen und gründeten Studio Ponoc, das den Geist des Totoro weiter in sich tragen sollte. In der Tat, eine ambitionierte Vision und dennoch ist "Mary und die Blume der Hexen" ein Film, der die Ghibli-Essenz in sich trägt. Zu sehen ist dies überall, von den kleinen Macken der Charaktere und den liebevollen 2D-Animationen, über die Musik, die mal süß und intim, mal episch und ausufernd sein kann. 

8. Annihilation
Lustig. Als ich diesen Sci-Fi-Streifen im März sah, fand ich den etwas zu einfach gedacht und intellektuell nicht herausfordernd genug. Eine zweite Sichtung verwirrte mich, halbwegs in der dritten machte es dann so ein bisschen Klick und ich habe verstanden, dass ich wirklich wenig verstanden hatte beim ersten Mal. Immer noch nicht sicher, ob ich den Film gänzlich verstehe, ich finde es aber endlos faszinierend; wie eine Ausgrabungsstätte, wo ich immer weitergraben kann. Toll aussehen tut er auch.

9. Wind River
Man sollte im ganzen Marvel-Tohuwabohu nicht vergessen, dass Jeremy Renner und Elizabeth Olsen zwei Schauspieler sind, die es wirklich faustdick hinter den Ohren haben und in den Händen eines Cineasten wie Taylor Sheridan diesen eisigen Murder-Mystery-Thriller zu einem der besten Filme des Jahres formen. Und Warren Ellis komponierte die Musik, was nie schaden kann.

10. The Villainess
Ist "The Villainess" inhaltlich total Banane? Ja. Hilft dieser stilistische Bruch in der Mitte des Films, wo für zwanzig Minuten aus dem brutalen Metzler plötzlich eine romantische Schnulze wird? Ne. Sollte man dieses koreanische Blutbad allein schon wegen den stichigen Action-Choreographien und der Kameraarbeit sehen, die das Idiom "Mittendrin statt nur dabei" fast im Alleingang redefiniert? You bet your fucking ass! Im Gegensatz zu diesem "Kill-Bill-Meets-Oldboy"-Schlachtfest ist "The Night Comes For Us" fast schon traditionell.


DIE FLOP 5 FILME 2018:

1. Pacific Rim: Uprising
Nach dem ersten Trailer konnte man es schon sehen. Del Toros dezenter Touch und Liebe zum Detail sorgten dafür dass "Pacific Rim" mehr war als die Summe seiner Teile. "Pacific Rim: Uprising" ist das, was man vom Erstling eigentlich erwartet hatte: Uninspirierte, langweilige CGI-Karambolage ohne Seele, Sinn oder Zweck. Nach dem Flop im Box Office war's das wohl für Pacific Rim im Kino. Aber eine Anime-Serie soll es geben und da dürfte dieses Franchise wohl eh besser aufgehoben sein. Das Universum ist nähmlich dann doch zu cool um es einfach sterben zu lassen.

2. Bad Times at the El Royale
So viel in "Bad Times at the El Royale" auch funktioniert—das Schauspiel, die Sets, der wendungsreiche Plot und köstlich farbenfrohe Dialoge, denen Drew Goddard (nicht unähnlich einem Tarantino) den nötigen Stellenwert zuspricht—leidet der Film dennoch unter einer Laufzeit, die mit 140 Minuten für diese Art von Film schlicht und einfach zu lang ist und spätestens nach einer Stunde total versandet. Schade; dabei fängt der Film echt super an.

3. Black Panther
"Die gesellschaftliche Signifikanz ist nicht genug, um aus einem mittelmäßigen Film einen guten Film zu machen." Discuss. ... Okay, das ist etwas unfair, tatsächlich mochte ich "Black Panther" sehr, v.a. den Cast bestehend aus vielen Kickass-Frauenfiguren und den schweren Fokus auf die afrikanische Kultur fand ich sehr geglückt. "Black Panther" darf man schon dafür loben, wichtige Schritte zu gehen. Hätten aber die hölzernen Dialoge und auch der Film an sich etwas mehr Feinschliff vertragen können? I mean ... yeah ...

4. Isle of Dogs
Ich bin echt immer dafür zu haben, wenn jemand sich die Mühe macht sich einem rigoros-kleinlichen Animationsprozess zu unterwerfen, wenn aber die Story nicht sitzt, hilft's leider auch nicht, dass 300 Animatoren irgendwo in England jetzt einen Hexenschuss haben. Fakt ist, die Handlung war überraschend einfach und selbstverständlich, Charaktere waren zu flach, Wendungen zu vorhersehbar. Aber echt schön anzusehen.

5. Ready Player One
War jetzt nicht so enttäuscht, weil meine Erwartungshaltung ohnehin recht niedrig war. Aber bei etwa Minute 80 hatte ich den Gedanken, dass dieser Film mir nichts bieten kann, außer ein "Weißte noch damals? War das nicht cool?" Ich meine, ich kann's ja verstehen. Nostalgie ist das Schwelgen in Erinnerungen, es ist die Comfort Zone schlechthin. Und ja, es war auch cool damals und das Coole von damals jetzt gemeinsam cool sein zu sehen, ist irgendwie auch cool. Aber bei Minute 80  schwappte eine Welle der Ermüdung über mich; an den Rest des Films kann ich mich gar nicht mehr erinnern ... Ich habe so die Schnauze voll von Nostalgie. 


10 MOST WANTED FILME 2019
Gemini Man
Ford v. Ferrari
Once Upon a Time in Hollywood
John Wick: Chapter 3
Captain Marvel
Rocketman
Little Women
The Irishman
Vice
Alita: Battle Angel


MEIN SERIENJAHR 2018: 

Mein Serienjahr war relativ ruhig. a) Weil ich recht wenig gesehen habe und b) weil wenn ich etwas gesehen habe, es zum Großteil eine weiterführende Staffel aus dem Jahr zuvor war. GLOW, Homeland, Better Call Saul und Rick and Morty konnten mit tollen neuen Staffeln überzeugen, während die zweite Staffel von Westworld mit seiner Kryptik ordentlich meine Geduld strapazierte. Erste Staffel The Terror fing schön gruselig an, blieb dann in der zweiten Hälfte der Staffel in der endlos-eisigen Plotwüste hängen, ehe jegliche Faszination flöten ging. The End of the F***ing World war eine Serie, die mir in die Weichteile getreten und mir ins Gesicht gespuckt hat und ich mich dafür bedankt habe, wohingegen der ZDF mich anhand von Bad Banks mit einer gut-geschriebenen, -gespielten,  -produzierten Serie beschenkte, die international durchaus mitreden könnte. An der Anime-Front gab es dieses Jahr wenig Neues. Eine neue My Hero Academia Staffel konnte erneut überzeugen, Staffel 3 von Attack on Titan konnte mich entgegen meiner Erwartungen mit einer Storyline packen, die den Fokus komplett umstellte und so für gute Überraschungen sorgte. Devilman Crybaby hat mir den Mindfuck des Jahres verpasst, von dem ich mich immer noch nicht erholt habe und Castlevania bewies mit seiner zweiten Staffel, dass die grandiose erste kein Glückstreffer war. Ansonsten verbrachte ich viel Zeit damit Zeug aufzuholen (u.a. Fullmetal Alchemist Brotherhood, Orange Is The New Black Staffel 5, Deutschland 83).


FAZIT:

Dieses Jahr habe ich begonnen zu begreifen, wie fucking nah wir uns eigentlich am Abgrund entlang balancieren. Achja ... und Filme.

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