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Berlinale 2023 Abschlussbericht: Kompromiss-Kino

Lidanoir

Von Lidanoir in Berlinale 2023

Berlinale 2023 Abschlussbericht: Kompromiss-Kino Bildnachweis: © Elisabeth Nagy

Ein bisschen sieht es aus, als hätten alle bekommen, was sie wollen. Die Festival-Doppelspitze Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek bekamen Steven Spielber (The Fabelmans), der den Preis für sein Lebenswerk pflichtschuldig persönlich entgegennahm und sich vom U2-Frontman mit Bono-Bombast als „Größten der Größten“ feiern ließ. Spielberg bekam seinen Ehrenbären, der ihm wahrscheinlich egal ist, aber dafür eine Gelegenheit, sich der Academy vorteilhaft zu präsentieren. Die Reaktionäre bekamen mehr deutsche Wettbewerbsfilme denn je, was für ein internationales A-List Festival ziemlich peinlich ist. Für die Berliner Bourgeoisie Schule gab es drei Filme und zwei Hauptpreise: Bestes Drehbuch für Schanelecs Musik und den Silbernen Bären für Petzolds Roter Himmel

Die Klüngel-Clique und alle, die jedes Rütteln am Establishment als Niedergang der Kunst beklagen, bekamen einen zur Hälfte mit alten Bekannten besetzten Wettbewerb. Für die alten weißen straighten wohlverdienenden Männer gab es reichlich Präsenz und Preise, darunter den Goldenen Bären. Der ging an Nicolas Philiberts On the Adamant, einer der wenigen Dokumentarfilme, der wie zuletzt Touch me not und Fuocoammare - den Hauptpreis der Berlinale gewann. Für alle, die sich mehr Diversität und Repräsentation wünschen, gab es Kristen Stewart als Präsidentin einer mehrheitlich weiblichen Jury, die zumindest mit den Schauspielpreisen für Haupt- und Nebenrolle sowohl künstlerisch als auch politisch das richtige Signal setzte.

Sowohl die für die besten Hauptrolle in 20.000 Species of Bees honorierte Sofía Otero, mit acht Jahren jüngste Berlinale Preisträgerin überhaupt, als auch Thea Ehre, ausgezeichnet als beste Nebendarstellerin für Bis ans Ende der Nacht, spielen in Filmen mit trans Thematik. Ehre widmete ihren Bären denn auch der Trans-Community. Angesichts der Bedrohung, der trans Menschen besonders in de USA in ihren Grundrechten und Existenz ausgesetzt sind, ein ebenso wichtiges Zeichen wie der Festival-Fokus auf Iran und Ukraine. Trotzdem gab es wieder nicht mehr, sondern lediglich besser platziertes authentisches Queeres Kino. Ähnlich abgespeist wurde das Genre-Kino mit vier Animationsfilmen abseits der Kinder-Sektion und vier horroraffinen Werken. 

Nicht nur der Goldbären-Film scheint ein lauer Kompromisses. Filmauswahl und Preisvergabe der 73. Berlinale prägten Halbherzigkeit und Mittelmaß. Kaum Highlights, kaum Aufreger, wenig Stars, keine Skandale. Das Motte Die Fesseln sprengen klang da fast ironisch. Obwohl es kleine Veränderungen gibt (endlich Pflanzenmilch statt Nestlé-Kaffee) leidet die Berlinale weiterhin an ihren Traditionsmankos: zu viele Dauergäste, zu wenig Diversität, zu viele Filme, zu wenig programmatische Vielfalt, zu viel nationale Filmpräsenz, gestrige Genre-Hierarchien. Neben den ableistischen sind auch die klassistischen Hürden für das Publikum unverändert hoch. Der grandiose Neustart nach den peinlichen Pandemie-Ausgaben war ein zaghaftes Anfahren mit angezogener Handbremse. Ob es nächstes Jahr vorangeht?

Persönliche Preisvergabe:

Bester Film: Past Lives (sagen alle)

Beste Regie: Totem 

Beste Hauptrolle: Thea Ehre

Beste Nebenrolle: Sofia Otero

Silberner Bär Herausragende Künstlerische Leistung: Liu Jian 

Bester Erstlingsfilm: The Cage Looking for a Bird

Bester Dokumentarfilm: Sieben Winter in Teheran 

Schlechtester Dokumentarfilm: Fantastic Machine 

Visuell herausragendster Film: Shen Hai

Visuell unterirdischster Film: In water 

Get out of my competition!“-Award: The Plough

Can I take you home?“-Award: das magische Kätzchen Daijin aus Suzume 

Bärendienst: Sira

Equality-Rating (0 - 10): 5 (Frauenanteil Wettbewerb: 31,58 %)

Berlinale-Taschen Rating: 1 (übriggebliebene Bauchtaschen vom letzten Jahr - what?!) 

Dümmstes Merchandise: Teile des Berlinale-Palast Kinovorhangs von 2022 (riecht wahrscheinlich nach Desinfektionsmittel). Stückpreis 159,90 €. 

Das Festival in einem Filmzitat: „Berlin ist so kalt und grau. Hier kann man nicht glücklich sein.“ (Ingeborg Bachmann - Reise in die Wüste)

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